Text und Fotos Friedrich Klawiter
Rüdiger Probst
Wiesbaden, 05. Oktober 2014

Rüdiger Probst kann auf eine viele Jahrzehnte währende Karriere als erfolgreicher Dresseur zurückblicken und ist intimer Kenner sowohl der Circusszene zu Zeiten der DDR als auch der Nachwendezeit. Derzeit mit dem Circus Crocofant von Francois Meise auf Tournee, ergab sich in Wiesbaden die Gelegenheit zum Gespräch mit der sympathischen Familie Probst.
Die Familie Probst ist seit Generationen mit Circus auf der Reise und geht im Ursprung auf die Althoffs zurück. Ein Ferdinand Althoff hatte dereinst eine Liaison mit einer Frau von Reuss und die Tochter aus dieser Verbindung erwarb durch ihre Hochzeit den Namen Probst. Der Vater von Rüdiger Probst, Ernst, gründete 1947 den Circus Sarani. Hier wuchs Rüdiger als jüngstes von vier Geschwistern heran und erlernte das Circus-Handwerk von der Pike auf. Vom Vater wurden die Kinder umfassend ausgebildet. Das Interesse von Rüdiger Probst galt dabei jederzeit der Arbeit mit Tieren und auch der Circustechnik. So verwundert es nicht, dass er als junger Mann seinen Abschluss als staatlich anerkannter Zeltmeister in Händen hielt. Auch die Wartung von Maschinen und Fuhrpark gehörte zu seinen Aufgaben.
In der Manege war er nicht nur mit verschiedenen Dressurgruppen, sondern darüber hinaus auch mit artistischen Auftritten zu erleben. „Reck zu Pferd - oder vornehm ausgedrückt Pas de Trois arbeitete ich genauso wie Perche, Jockey und auch in unserer Western-Show war ich dabei“ erklärt der versierte Artist in alten Fotoalben blätternd.

Der Circus Sarani war einer der erfolgreichen privaten Circusunternehmen, die zu der Zeit neben dem VEB-Staatscircus geduldet wurden. „Gerne gesehen waren wir allerdings, wie dass in einer Diktatur oft so ist, von der Obrigkeit nicht, da Privatunternehmen, noch dazu erfolgreiche, nicht ins sozialistische Weltbild passten. Wir boten erstklassigen Circus und arbeiteten noch dazu wirtschaftlich, erwirtschafteten Jahr für Jahr unseren Lebensunterhalt und deckten unsere Kosten, während der Staatscircus in jedem Jahr einige Millionen staatlicher Zuwendungen verbrannte. Die Eintrittspreise wurden uns von der Kulturbehörde vorgeschrieben, für die Logen durften wir fünf Mark und für den billigsten Platz eine Mark und fünf Pfennige, diese mussten von allen verkauften Eintrittskarten an den Kulturfonds abgeführt werden, nehmen“.
„Zu Beginn jeden Jahres mussten die Reiserouten der privaten Circusse mit denen des Staatscircus abgestimmt werden. Wir mussten weiten Abstand halten und durften deren Tour auch nicht ansatzweise kreuzen, man hatte Angst der VEB-Circus würde sonst Zuschauer einbüßen“. Problematisch wurde es, wenn der Staatscircus plötzlich aus unterschiedlichen Gründen seine Tournee änderte. „Das machte uns dann zum Teil enorme Probleme, da wir nicht ohne weiteres andere Ortschaften anfahren konnten. Das ging zum Teil so weit, dass man unseren Kindern den Schulbesuch verweigern wollte – im Gegensatz zum Staatscircus reiste bei uns kein Lehrer mit – da man verlangte, die Kinder müssten zwei Monate im voraus angemeldet werden“.

1968 führte der Circus Sarani seine letzte Tournee durch, da der Betrieb im Zuge einer Verstaatlichungswelle zwangsweise geschlossen und keine Lizenz mehr erteilt wurde. So reiste Rüdiger Probst in den beiden folgenden Jahren im Circus Proscho, den die Familie seines Onkels Max seit Jahren betrieb. Dieser Circus stellte Ende 1970 ebenfalls den Betrieb ein, man kam auf Grund entsprechender Informationen der Zwangsschließung zuvor und konnte so Vermögenswerte retten.
Nun ging Rüdiger Probst zu seinem Cousin Rudolf ins Engagement. Die große Ungarn-Tournee im Jahre 1971 fand indessen ohne Rüdiger Probst statt. Da als politisch unzuverlässig eingestuft, wurde ihm ein für Auslandsreisen gültiger Pass verwehrt. So kam er denn erst im Folgejahr, als Rudolf Probst erneut nach Ungarn reiste, zu seinem ersten Auslandsaufenthalt.
Bald darauf wurde Rudolf Probst wegen Devisenvergehen inhaftiert, enteignet und der Circus zwangsaufgelöst. Rüdiger Probst kaufte seinem Cousin die Exoten ab und reiste fortan als freischaffender Künstler auf eigene Rechnung. In den folgenden Jahren war er in den Circussen des sozialistischen Bruderlandes Polen engagiert. Als es 1980 in Polen zu ersten Unruhen rund um die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc kam, verwehrte die DDR-Führung ihren Artisten die Reise ins nun nicht mehr so brüderliche Nachbarland.

In den folgenden zehn Jahren war Rüdiger Probst im Circus Hein, einem der drei verbliebenen privat geführten Circusse des Landes, engagiert. Er arbeitete mit seinen Exoten und Pferden und führte auch von 1982 bis 85 eine Löwengruppe vor. „Die Arbeit mit Raubtieren hat mir nie großen Spaß gemacht, das war nicht was ich wollte. Die Gruppe Löwen habe ich fertig übernommen. Die Nummer war ein bisschen dünn und so hat Carola Krämer ihre Kautschuk-Arbeit in den Zentralkäfig verlegt. Damit haben wir die schwache Raubtierdressur kaschiert und auch ihre Arbeit wirkte spektakulärer“.
Nachdem die innerdeutsche Grenze gefallen war und es keine Reisebeschränkungen mehr gab, nahm Rüdiger Probst Engagements in ganz Europa wahr. „Von Sizilien bis ans Nordkap sind wir mittlerweile überall gewesen, kaum ein Land in dem wir nicht gearbeitet haben“.

Eine lange Namensliste europäischer Circusse führt das Ehepaar Probst als Arbeitsstätten an. Am besten gefallen hat es ihnen in der Schweiz bei Harlekin und in Norwegen bei Arnado. „Norwegen, dass war zwar sehr anstrengend mit sehr weiten Fahrten zwischen den Tourneeorten und vielen Eintagesplätzen, aber das Land ist einfach grandios. Auch die Schweiz ist wunderschön. In den beiden Unternehmen hatten wir die angenehmsten Saisons, weil der Zusammenhalt unter den Artisten am größten war“. Auch an den Circus Brazil Jack aus Schweden und Amar – seinerzeit noch unter der Direktion der Famile Rech – in Frankreich denkt man gerne zurück.
In der Saison 1993 reiste Rüdiger Probst mit dem Circus seiner Cousins Reinhard und Tino. Er führte seine Pferde und Exoten vor und begann den Exotenzug aufzubauen, der in den Folgejahren zunächst von Uwe Schwichtenberg komplettiert und vorgeführt wurde und schließlich von Reinhard Probst in die Manege gebracht wurde. Auch die sechs weißen Araber wurden von Rüdiger Probst eindressiert.

Seit dreiundvierzig Jahren ist Rüdiger Probst mit seiner Ehefrau Regina verheiratet. Sie kommt von privat und war seinerzeit „ohne große Begeisterung, mehr aus Langeweile mit Freunden in den zufällig am Ort gastierenden Circus gegangen“. Der junge Mann war ihr gleich aufgefallen und als sich ihre Freunde nach der Vorstellung mit Artisten am Ausgang unterhielten, kamen die Beiden mit einander ins Gespräch. In der Folge besuchte die junge Frau, die zu der Zeit ihre Prüfung als Friseurin absolvierte, den Circus öfter und man kam sich näher. Schließlich forderte Rüdiger Probst seine Freundin auf, zum Circus zu kommen, da „es so nicht weitergehen könne und die Beziehung so keine Zukunft habe“. Vor die Wahl gestellt entschied sich Regina, die sich inzwischen zur Weiterbildung als Maskenbildnerin eingeschrieben hatte, für das Leben im Circus. In den ersten Jahren arbeitete sie als Kassiererin. Später hat sie auch  Lamas und Pferde vorgeführt, doch sie steht nicht gerne im Scheinwerferlicht. Das Ehepaar Probst hat zwei Kinder und Sohn Michael hat in der Jugend eifrig trainiert und wollte gerne Artist werden. „Er war talentiert und hatte als Jugendlicher gut Antipode gearbeitet“. Er bewarb sich bei der staatlichen Artistenschule, wurde jedoch auf Grund seiner Familienzugehörigkeit nicht angenommen. Unter großen Mühen gelang es ihm eine Berufsausbildung zum Optiker abzuschließen und seit Jahren lebt er in  Norwegen. Auch Tochter Sandra, sie verstarb vor einem Jahr an einer schweren Krankheit, schlug keine Circuslaufbahn ein. Ihr Sohn Kevin hat sich allerdings für ein Leben im Circus entschieden und ist seit 2009 mit den Großeltern auf Tournee und präsentiert inzwischen die Freiheitspferde in der Manege.

„Mit zwanzig Tieren sind meine Frau und ich jahrelang alleine gereist. Wir haben immer alle Arbeiten selbst gemacht“, sagt Rüdiger Probst nicht ohne Stolz. „Am liebsten wollte ich immer mit Exoten arbeiten, dass hat mir am meisten Freude bereitet. Doch als Privatunternehmen war in der DDR an Elefanten usw. nicht heran zu kommen. So habe ich mich für die Arbeit mit Pferden entschieden. Später hatte ich acht Freiheitspferde und zwölf Exoten. Darunter waren vier Bisons, drei männliche und eine Kuh“. Kamel, Dromedar, Lama, Zebu, Ungarisches Hirtenrind, Watussi, Schottisches Hochlandrind, Zebu, Yak, Bison und andere Rassen vereinte Rüdiger Probst in phantasievollen Abläufen harmonisch in der Manege.
Da die Rahmenbedingungen im Circus im schwieriger und die Auflagen für die Tierhaltung immer höher werden, die Engagements immer weniger lukrativ sind, hat Rüdiger Probst vor ein paar Jahren die Exoten abgegeben und beschränkt sich auf die Pferdefreiheit.

Ein Vier-Masten-Chapiteau besitzt Rüdiger Probst seit Jahren, „es liegt in unserem Quartier. Wir hatten die Idee einen eigenen Circus zu machen und vieles dafür Erforderliche wäre kein Problem gewesen. Ich verstehe etwas von der Technik und Dressurnummern hatten wir auch. Artisten zu verpflichten ist kein Problem. Aber von dem heutzutage wichtigsten Part, von der richtigen Werbung und dem kaufmännischen Teil, kurzum von der Geschäftsführung verstehe ich nichts. Das hat mich früher Zuhause nicht interessiert und mittlerweile haben sich die Zeiten auch sehr geändert. Da sind wir zu guter Letzt vernünftig geworden und haben die Träume aufgegeben“.
Große Zukunftspläne hat Rüdiger Probst nicht mehr. „Ich bin mit meinen siebenundsechzig Jahren in einem Alter,wo man sich zur Ruhe setzt, in dem andere schon lange nicht mehr arbeiten. Unser Enkel ist ein guter Dresseur, doch ich kann ihm noch einiges zeigen und solange wir ihm helfen können und wir es körperlich können, reisen wir mit und unterstützen ihn“.

„Eine Zukunft hat der Circus nur mit Tieren – die Tiere sind es, die Circus zu etwas Besonderem machen, die Faszination ausüben, ansonsten ist es ein Varieté – eine Artistenshow die beliebig und austauschbar ist“. Die Besucher wollen Tiere im Circus sehen, dessen ist sich Rüdiger Probst sicher, „das kann man jeden Tag bei der Pausentierschau beobachten, wie interessiert die Leute an die Gehege strömen. Und wo sonst kommen Stadtkinder in so engen Kontakt mit allen möglichen Tierarten und lernen sie aus nächster Nähe kennen. Das ist wichtig, denn der Mensch ist nur bereit zu achten und schützen was er kennt“.

Wir bedanken uns bei der Familie Probst für die freundliche Aufnahme und die Zeit die sie sich für das äußerst interessante Gespräch nahmen, sowie für die sehr interessanten Einblicke in ihr Fotomaterial.


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