Text und Fotos Friedrich Klawiter
WIENER CIRCUS
Hasselt, 31.Oktober 2010

www.wienercircus.com
Der Wiener Circus ist das älteste in Belgien reisende Circusunternehmen. 1965 von Ullrich Malter gründet, feiert der Circus in diesen Tagen in Hasselt offiziell sein 45jähriges Bestehen. Ulrichs Vater Gottfried war in den 1930er Jahren mit einer Raubtiershow in Deutschland aktiv, ging 1955 mit Frau und acht Kindern über die Niederlande nach Belgien und gründete hier nach einiger Zeit seinen „Tiroler Circus“. Dann verließ Ulrich Malter das elterliche Geschäft, um seinen eigenen „Wiener Circus“ zu betreiben.

Ein ganz eigener Charme einer längst vergangenen Zeit geht von diesem Circus aus.  Ein Großteil des Materials, insbesondere des Fuhrparks, gehört schon seit Jahrzehnten zu diesem Unternehmen.  In Hasselt wurde auf einem geräumigen Rasenplatz, dem 'Alten Pferdemarkt', aufgebaut. Der Durchgangs-Kassenwagen mit der großen, aufklappbaren, bemalten Fassade empfängt seit jeher die Besucher und ist inzwischen so etwas wie das Wahrzeichen des Unternehmens. Der gesamte Marstall des Circus - vier Ponys - wurde mit Freigehege und kleinem Zeltpavillon gleichfalls in der Front untergebracht. Entlang der einen Platzseite steht malerisch unter Bäumen der Oldtimer-Fuhrpark aufgereiht. Zwei Lkw und eine handvoll Wagen, alle in den Hausfarben blau weiß und gelb gehalten, genügen, das Equipement des Circus zu transportieren.
Eine behagliche Atmosphäre empfängt die Besucher im Innern des Chapiteaus, das von den Farben rot und weiß dominiert wird. Das 'Gradin' hinter den drei Logenreihen wurde in diesem Jahr erneuert. Vom Circus Alexandre Bouglione wurden die vier klappbaren Tribünenwagen mit den festmontierten Bankreihen übernommen.

Der Artisteneingang wird von einem Wagen, dessen Musikerbühne inzwischen leider verwaist ist, mit großer weißer Fassade gebildet. Zur Zeit wird er mit neuem Dekor versehen, so dass noch ein Teil der alten Leuchten und schon einige der neuen orientalisch inspirierten Ornamente nebeneinander zu sehen sind. Topp und neu  die Lichtanlage. Sechs Movingheads sowie weitere Scheinwerfer hängen in der Kuppel, und entlang des Bühnenrandes sind in dichter Folge zahlreiche kleine Scheinwerfer installiert. Ausschließlich in der Pause wird der rote Vorhang neben dem Artisteneingang gehoben und der Restaurationswagen steht zur Verfügung.

Das Programm bietet echten, guten Familiencircus für die ganze Familie. Ein älterer Herr , im dunklen Anzug und mit Brille kommt auf die Bühne und beginnt sich zu schminken derweil Charly Chaplins 'Limelight' erklingt. So wird Lionel Chaves zum Clown. Dieses Opening, vielerorts zu sehen, kommt beim Publikum sehr gut an. Gerade hier, in dem relativ kleinen Raum und der Nähe der Zuschauer zum Geschehen, ist gleich für Stimmung gesorgt.
Zusammen mit seiner Frau präsentiert er zum Programmstart eine Hundemeute. Ein  großer Mischling und drei Terrier zeigen ihr „modernes“ Repertoire - verschiedene Sprünge und der Lauf auf einer Walze. Vier, fünf kleine Pinscher werden dann im Stil der 1960er Jahre vorgeführt. In immer wieder wechselnden Glitzerkostümen fahren sie Roller, schieben einen Kinderwagen mit Kollegen besetzt oder kommen als „Tanzpaare“ auf die Bühne. Die Resonanz des Publikums auf solcherlei Vorführung, die nicht dem oft strapazierten Zeitgeist entspricht, ist überwältigend.

Einige Reprisen und Entrees werden von Lionel Chaves mit großer Spielfreude und Können geboten. Seine mit sparsamer Schminke und erstklassigen Kostümen geschaffene Clownsfigur ist eigenständig und kommt bei Jung und Alt gleichermaßen gut an.  Er ist ein klassischer Clown alter Schule, der es versteht zu unterhalten, auf seine Kosten lachen lässt und auf die Belästigung von Zuschauern verzichten kann. Den seriösen Part in diesen Auftritten übernimmt der junge Direktor - Ricky Cannone. Er ist ein Sohn des italienischen Raubtier- und Elefantendompteurs Riccardo Cannone, hier im Wiener Circus geboren und aufgewachsen und gehörte immer schon wie ein weiterer Sohn zur Familie von Ullrich Malter, dessen Sohn Lucky vor rund zehn Jahren nach schwerer Krankheit verstarb.
Zum Repertoire der Clowns gehören viele bekannte Klassiker, die gekonnt vorgetragen, mit Schwung und  Spaß gespielt werden. Aktuell werden die Entrees 'Kunstschütze' sowie 'ein Teller und ein Ei' - hier wirkt Ricky Cannones Schwester Natascha als zweiter August mit - gebracht. Ebenso überzeugend die verschiedenen prägnant und ohne Längen vorgetragenen Reprisen, z. B. Spieluhr, Flaschenbalance und 'das geheimnisvolle Getränk'.

Eine tempogeladene Jonglage mit Keulen und Ringen zeigt Ricky Cannone. Eine große Anzahl verschiedener Muster wird sehr sicher und routiniert gearbeitet. Abschließend hält er kurz fünf Teller in der Luft, angesichts des relativ kleinen flachen Zeltes eine Leistung, die hohe Geschicklichkeit voraussetzt.
Natürlich obliegt es dem Chef die Pferde vorzuführen und so lässt er in einer feinen schwarzen Livree die vier Ponys auf der Bühne paradieren.
In einer weiteren Nummer tritt Ricky Cannone zusammen mit seiner Schwester Natascha und seiner Frau Deny Chaves als „Magic Fantasys” in Erscheinung. Einige gängige Großillusionen werden flott und sympathisch geboten.
Deny Chaves bringt darüber hinaus eine schön choreographierte Darbietung am Ringtrapez. Gekonnt und elegant versteht sie es, ihre Tricks zu verkaufen. Leider setzt die Lichtregie bei dieser Nummer auf ein wenig zu sehr gedämpfte Beleuchtung und nimmt der Darbietung damit ein etwas die Wirkung.

Eine ausgereifte Hula Hoop Darbietung bringt die erst dreizehnjährige Alexandra Malter auf die Bühne. Das junge Mädchen beherrscht sein Requisit sicher und mit sympathischer Ausstrahlung. Ausgefallen ihre Kombination von Hula Hoop und Kugelbalance. Auch diesen erhöhten Schwierigkeitsgrad meistert sie erstklassig.
Einen eloquenten Monsieur Loyal, der in charmanter unaufdringlicher Art durch das Programm führt, hat der Circus in Xavier Depaepe.

Es zeugt von großem fahrerischen Können, wenn Gaspard Monteiro sein 'komisches Taxi' flott durch den engen verwinkelten Artisteneingang und über die schmale steile Rampe auf die Bühne bugsiert. Die bestens bekannte Darbietung gewinnt durch die Räumlichkeit, oftmals haben wir sie im Hintergrund einer Manege erlebt, durch die größere Nähe zu den Zuschauern deutlich.
Als Höhepunkt der akrobatischen Darbietungen erleben wir die neu gestaltete Rola-Darbietung des Duo Gaspard. Sohn Reinaldo reist in diesem Jahr mit seiner Frau Anouschka Bouglione alleine und so arbeitet Ivo Monteiro mit seinem Vater Gaspard als Duo. Trat man bisher glamourös im Las Vegas-Look in Erscheinung, wurde nun ein komplett, bis hin zum kleinsten Teil der Requisiten, neues Aussehen gefunden. Ein Flügel wird auf der Bühne in Stellung gebracht und im schwarzen Anzug nimmt Ivo Monteiro daran Platz. Dann erklimmt er das Instrument und beginnt seine Evolutionen auf der Rola. Alle Requisitenteile sind optisch dem Thema 'Klavierkonzert' angepasst - Zwischenwalzen stellen stilisierte Zylinderhüte dar, Aufstiegshilfen wurden a la Klavierhocker gestaltet - und  stilsicher in schwarz und weiß gehalten. Vater Gaspard ist bereits in der Pause im Zuschauerraum zugegen und verfolgt das Programm aus einer Loge heraus. Dann erstürmt er in bekannter Manier als 'betrunkener Gast' die Bühne und ist mit einem Satz auf dem Flügel. Vom Direktor der Bühne verwiesen „stürzt“ er in einer Art zurück in die Loge die Stühle mitreißend, dass keine Zweifel an der Echtheit des Sturzes aufkommen.
Nachdem der ältere Herr auf der Rola den Straßenanzug, den er über dem Kostüm trägt, abgelegt hat, zeigen Vater und Sohn gemeinsam auf dem Flügel ihre Künste auf den fragilen Türmen unter ihren Rolabrettern.

Das letzte Entree, 'ein Teller und ein Ei', beendet Ricky Cannone auf seiner Trompete und leitet solchermaßen zum Finale über. Die Mitwirkenden empfangen ihren wohlverdienten Applaus und der Direktor bedankt sich für den Besuch. Auf der nun wieder leeren Bühne schminkt sich der Clown, Ricky Cannone spielt dazu „What a wonderful World“ auf seiner Trompete, ab, wird wieder zu Lionel Chaves dem älteren Herrn der sich seine Brille aufsetzt, ein letztes Mal kurz ins Publikum winkt und geht.
Niemand hat vorzeitig seinen Platz verlassen, ein sicheres Zeichen wie gut das Gebotene ankommt und die Besucher begeistert. Nun leeren sich die Ränge allmählich und die zufriedenen Zuschauerer werden beim Zeltausgang vom Direktor per Handschlag auf den Heimweg verabschiedet. 

optimiert