Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS RONCALLI
Köln, 31. März 2012

www.roncalli.de
In der rheinischen Metropole Köln, die auch das Winterquartier des Circus Roncalli beheimatet, startete das circensische Kleinod von Direktor Bernhard Paul in die neue Saison. Im tosenden Verkehr der Autos und Straßenbahnen rund um den Neumarkt wirkt der Circus unter den hohen Platanen wie eine Insel aus einer längst vergangenen Zeit.
Im Licht dieses sonnigen Frühlingstages glänzen die bekannten Farben creme und bleu der neuen Chapiteaux-Anlagen des Circus Roncalli. Das Zeltdach über dem Caféwagen kann nun mittels Planen aus glasklarem Material zu einem geschlossenen Zelt verwandelt werden und ermöglicht so die Außenplätzes auch bei kälteren Tagen zu nutzen.
Die Stellfläche des Neumarkt ist sehr begrenzt. Nur wenige Wagen stehen dicht ums Zelt gedrängt. Kasse, Büro, die Garderoben und Schneiderei, die bekannten dekorativen Frontwagen und die wunderschöne Wurstbraterei verbreiten im Zusammenspiel mit weiteren Roncalli typischen Dekorationen ein Circusflair, dass uns an die Belle Epoque denken lässt. Vieles erstrahlt zum Saisonstart in frischem Lack und unzählige liebevoll arrangierte Feinheiten erfreuen das Auge. Dies gilt auch für die Inneneinrichtung des Vorzeltes. Der große Verkaufswagen, der Souvenirstand und der kleine antike Wagen der die Popkornmaschine beherbergt, bestechen durch ihre perfekte Finesse.Diese Detailverliebtheit setzt sich auch im Chapiteau fort, dass sich, bis auf den letzten Platz besetzt, im gewohnt edlen Ambiente präsentiert.

Das aktuelle Programm wurde in weiten Teilen gegenüber dem Vorjährigen verändert und zeigt sich bereits zu Saisonbeginn als stimmige, gut eingespielte Show. Es wird erstklassig  und stimmungsvoll vom ausgezeichneten Lichtdesign von Markus Wietkamp in Szene gesetzt. Das große Roncalli-Orchester unter Georg Pommer trägt gleichfalls das Seine dazu bei, die Artisten zu unterstützen und der Show ihre eigene unverwechselbare Prägung zu geben.
Zum Start des Programms muss Sprechstallmeister Patrick Philadelphia zunächst einmal einen "Requisiteur" daran hindern die Piste mit einem Staubsauger zu bearbeiten. Nachdem diese, im Stil des " musizieren ist hier verboten" ablaufende, Panne behoben ist, heißt er das werte Publikum willkommen. Schon erfolgt die nächste Störung - ein älterer Herr in Anzug und Regenmantel, mit Schirm, Koffer und Geigenkasten bepackt, möchte den Herrn Direktor sprechen. So ausstaffiert bietet der belgische Comedian Jan van Dyke seine Dienste als Geiger an. Nachdem auch dieser "Störenfried" die Manege verlassen hat, erleben wir den ersten akrobatischen Auftritt.

"Flaschenläufer" Michael Ortmeier, bekannt aus der ZDF-Sendung "Wetten dass.." hat ca. sechzig Flaschen zu einem Kreis geordnet. In dessen Mitte sind die überdimensionalen Zeiger eines Uhrwerks platziert und werden von Devlin Bogino im Takt des schreitens von Ortmeier weitergedreht. In den Flaschen leuchten, sobald der Artist seinen Fuß darauf setzt, Lampen auf.
Weißclown Gensi, wie stets in exquisiten extravaganten Kostümen, an der Flaschenorgel bestreitet an der Flaschenorgel ein erstes Intermezzo. Im Verlauf der Show spielt er u. a. mit einem Zuschauerkind auf Hupen und erscheint als verwegener Reiter.
Vivian & Lili Paul, Geraldine Philadelphia sowie Clio Togni erobern radeln die Manege, um ihr Können in einem Charivari aus Hula-Hoop, Antipoden, Ringtrapez und Handstandequilibristik unter Beweis zu stellen. In der Manegenmitte ist bereits das hölzerne Gestell platziert auf dem Fabricio Nogueira seine  Fahrrad-Darbietung ausführt. Auf der konischen und in der Mitte offenen Leistenkonstruktion fährt der Artist im Kreis, derweil das Gestell hoch in die Kuppel gezogen wird.

Katharina Guerina und Natalia Kastroma überzeugen mit einer modernen Choreographie an den Strapaten. Die beiden Bingo-Artistinnen bieten eine Reihe attraktiver Abläufe und absolvieren ihre Kür mit Schwung. Zusammen mit Tamila Pervariukha gestalten sie die wenigen Ballett-Szenen des aktuellen Programms. Pervariukha bietet zum Orchester-Opening des zweiten Teils eine kurze Kür am Schwungtrapez. Alexander Wengler, er wurde von Bernhard Paul in der ORF-Casting-Show "Die große Chance" entdeckt, komplettiert den Reigen der modernen Darbietungen. Er kombiniert Elemente der Pantomime mit Break-Dance, erzählt so im roten Ring eine Geschichte wie man zum Nichtraucher wird.
Jemile Martinez präsentiert seine furiose Jonglage mit Fußbällen auch in diesem Jahr bei Roncalli. Trickreich und sicher werden die Routinen mit bis zu fünf Bällen beherrscht. Interessant zu sehen, sind seine Aktionen mit "nur" einem Ball, die sich kurz und treffend unter dem Motto "Der Ball ist sein Freund" zusammenfassen lassen.                                   
Andrey Romanovsky gehört mit seiner bekannten Klischnigg-Darbietung als Schornsteinfeger ebenfalls wieder zum Roncalli-Ensemble. Seine enorme Beweglichkeit löst in weiten Teilen des Publikums stets aufs Neue großes Erstaunen aus.
Die Cedeno Brothers, eine Formation von vier jungen Südamerikanern, die mit ihrer Ikarier-Nummer für mächtigen Wirbel im roten Ring sorgen. Mit jugendlicher Frische und südlichem Temperament werden Salti und Pirouetten dargeboten, Wechsel von einem zum anderen Untermann inklusive.

Direktor Bernhard Paul lässt nach Jahren der Absenz sein Alter Ego "Clown Zippo" in der Roncallimanege wieder auferstehen.  Zusammen mit einem distinguierten Patrick Philadelphia und einem groß aufspielenden Jan van Dyke wird der Klassiker "Bienchen, Bienchen - gib mir Honig" gegeben. Das Kölner Publikum reagierte mit Jubelstürmen schon auf das Erscheinen von Bernhard Paul in der Manege. Das harmonisch und routiniertablaufende Zusammenspiel der drei Protagonisten erweckt keinerfalls den Eindruck, dass dieses Trio erst seit wenigen Tagen zusammen auftritt. Jan van Dyke versteht es mit pointiertem Spiel Akzente zu setzen und lediglich sein feuchtes "F" erinnert an seinen Vorgänger Fumagalli.
Die beiden Dressurdarbietungen des Programms wurden im zweiten Teil direkt nacheinander platziert. Zunächst ist es Karl Trunk, der seine acht Ponys charmant und höchst gekonnt vorstellt. Mit einem Augenzwinkern werden "Verspätung" des kleinsten Pferdchens und "Cleverness" beim verteilen von Leckerlis präsentiert. Vielfältige variantenreiche Lauffiguren und elegante Steiger sind in Vollendung zu sehen. Ein mächtiges Shire-Horse interagiert mit einem sehr kleinen Shetland-Pony  zum Entzücken der Zuschauer in einem neu einstudierten Groß-und-Klein.
Leonid Beljakov und sein Boxer "Klitschko" garantieren beste Stimmung auf den Rängen. Die totale Verweigerung den Aufforderungen seines Herrn, untermalt vom Höhner Song "Nein, heute nicht", nachzukommen, begeistert immer wieder die Zuschauer. Im weiteren Verlauf zeigt sich Klitschko als "Jongleur", der in seine Richtung geworfene Tischtennisbälle perfekt fängt und in einem bereitstehenden Zylinder ablegt. Schlussendlich begleitet er das Mundharmonikaspiel von Beljakov mit seinem Gesang.
Shirley Larible präsentiert ihre bekannte Arbeit an den Strapaten. Kraftvoll agiert die zierliche junge Frau in der Kuppel und beschließt den Auftritt mit einem Spagat,  in den sie freihändig gleitet.

Jan van Dyke, immer wieder in der Show in kleinen Szenen mit Patrick Philadelphia aktiv, kommt nun zu seinem Entree. Im dunklen Anzug möchte er sein Können als Geigenvirtuose zeigen, jedoch wie so oft im echten Leben kommt es anders. Die Tücke des Objektes, in diesem Fall des Mikrophons samt Ständer, verhindert große Taten und wird mit pointiertem Wortwitz durch den Clown kommentiert. Jan van Dyke beherrscht sein Metier hervorragend und bietet Clownerie bzw. Komik, wie man sie in Stil und Qualität leider viel zu selten geboten bekommt.
Die herausragende Handstandequilibristik von Encho Keryazov ist nach wie vor spektakulärer akrobatischer Höhepunkt des Roncalli-Programms. Die kraftvollen, perfekt präsentierten Tricks begeistern immer wieder, nicht zuletzt auch wegen der Selbstverständlichkeit mit der sie vorgetragen werden. Gebannt verfolgt das Publikum diese Demonstration der Körperbeherrschung und feiert den Artisten beim Kompliment.

Das große Finale stellt sich in den Roncalli-Shows stets als umfangreiche, eigenständige Produktionsnummer dar. Die bewährte Choreographie hat sich über die Jahrzehnte nur marginal verändert. Fröhlich wirkt die Schar der Mitwirkenden, wenn sie, Luftballons in den Händen, in die Manege kommt. Unverzichtbar, dass Logenbesucher zum Walzer in den roten Ring gebeten werden. Noch einmal kommen die Akteure einzeln nacheinander durch den Vorhang, holen sich jeder den wohlverdienten Applaus ab. Einige Zugaben folgen und langsam zieht sich die Schar, ins Publikum winkend zurück, derweil das vollbesetzte Haus mit Standing Ovations seine Begeisterung bekundet. Jan van Dyke, nun in Nachthemd und Zipfelmütze, bedeutet, mit einem riesigen Wecker und Kerze in der Hand, allen, dass die Show nun tatsächlich beendet sei. Das Licht erlöscht und das Orchester verstummt.
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