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Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCO MOIRA ORFEI
Bergamo, 11. September 2009

www.moiranonsolocirco.it
Der Circus Moira Orfei gehört zu den ganz großen Unternehmen in Italien. Seine  Bekanntheit verdankt er zu großen Teilen der geschickt vermarkteten Popularität seiner heutigen Senior-Direktorin und Namensgeberin. 'La grande Moira' hat hauptsächlich in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in einer Reihe italienischer Spielfilme mitgewirkt. So finden wir bis heute Plakate, die lediglich das Foto der Diva und ihren Vornamen tragen. Aktuell ist nun zusätzlich ein Bild ihres Sohnes Stefano und seiner Partnerin Brigitta Boccoli mit dem Programm-Motto „una tigre per amore“ auf den Plakaten zu sehen. In diesem Spätsommer steht der Circus für ein zweiundzwanzig Tage währendes Gastspiel in Bergamo. Wie wir vom Sprecher Giorgio Vidali erfahren, gastiert der Circus im zweijährigen Rhythmus in den gleichen Städten. Ein Teil der Urlaubsorte entlang der Küste wird im Verlauf der sommerlichen 'Bädertour' jedes Jahr angefahren. Den Weihnachtscircus veranstaltet man im dreijährigen Turnus in Florenz, Rom und Neapel. So wird man in diesem Jahr am Ende der Saison von Turin direkt ins rund neunhundert Kilometer entfernte Neapel reisen. Hierfür sind insgesamt vier Ausfalltage angesetzt.
Bei Moira Orfei steht für jeden Transport ein Lkw zur Verfügung. Genau halb so viele Chauffeure werden beschäftigt. Nach der ersten Fahrt werden sie mit einem firmeneigenen Bus zurückgebracht, um die zweite Hälfte der Transporte zu übernehmen.


Unmittelbar neben einem Parkplatz des Orio-Centers, einem weitläufigen Einkaufsparadies direkt am Flughafen von Bergamo, hat der Circus seinen Platz. Es ist ein großer Circus mit äußerst umfangreichen Material - wie heute fast nicht mehr zu sehen - der dort aufgebaut hat. Der große Viermaster von zweiundfünfzig mal sechsundvierzig Meter, in der typischen gelb-schwarzen quer gestreiften Farbgebung ragt hoch in den Himmel über der Lombardei. Die Quertraversen an beiden Mastenpaaren tragen den schlichten Namenszug 'Moira'. Auch die allermeisten Fahrzeuge sind in gelb-schwarz, einige noch in der älteren gelb-blauen Kombination, gehalten. Generator- und Barwagen sind in weiß bzw. silbern lackiert. Die drei prächtigen Wohnwagenzüge der Direktion, die die eine Fronthälfte bilden, tragen über den Dächern weit ausziehbare Markisen, die die sengende Sonne des Südens abhalten. Des Weiteren sind die Kasse, Bar, Elektrozentrale und ein Verkaufswagen an der einzigen zugänglichen Seite des Platzes zu finden. Ein großes Vorzelt beherbergt den Restaurationswagen sowie weitere Stände und ist mit einem künstlichen Wasserfall und Springbrunnen dekoriert.
Der Zoo wird nur während der Pause geöffnet. Einen breiten Raum nehmen die Transporter mit ihren umfangreichen Außenkäfigen der beiden Raubtiergruppen, diese werden von Mary Chipperfields Sohn David betreut, des Circus in Anspruch. Die Gehege des großen Exotenzugs, er war in Monte Carlo zu sehen, stehen neben dem Pferdestall.

Die zugehörigen Transporter sind komplett mit afrikanischen Landschafts- und Tiermotiven bemalt. Auch andere Fahrzeuge tragen partielle Bemalung mit Circusmotiven.
Die Anzahl Pferde, die der Circus mitführt ist im Vergleich zu anderen Großunternehmen äußerst gering. In einem weiteren Stall sind die beiden Elefanten untergebracht. Da der Circus regelmäßig die gleichen Städte besucht, wird uns erklärt, müssen auch die Dressurnummern variiert werden. So pausiert zur Zeit der Exotenzug, eine Tigernummer und die Hohe Schule.

Steht man im Chapiteau werden seine, für heutige Verhältnisse, enormen Abmessungen erst richtig deutlich. Die große, ca. dreizehn Meter Durchmesser messende, Manege wird von dreireihigen Logen eingerahmt. Das Gradin hat sechzehn Reihen, von denen die untere Hälfte mit Schalensitzen, mit recht großzügig bemessenen Platzverhältnissen, ausgestattet ist. Der Manegenboden ist mit dicken blauen Kunststoffmatten mit schrägem Hufschlag ausgelegt. In die Pisteninnenseite sind zahlreiche Scheinwerfer integriert, die für effektvolle Beleuchtungseffekte sorgen. Wie überhaupt die Lichtanlage erstklassig zu nennen ist und stets für die optimale Unterstützung des Programms sorgt. Den hinteren Teil des Chapiteaus beherrscht ein gewaltiger, von einem breiten bemalten Rahmen eingefasster Vorhang. Er ist etwa fünfzehn Meter breit und ca. sieben  Meter hoch und verbirgt während des Einlasses den Artisteneingang mit dem obenauf platzierten fünfköpfigen Orchester. In Italien finden die Vorstellungen zu späterer Stunde als bei uns statt. Für 21:15 war die Show an diesem Abend terminiert, doch es dauerte noch etwa eine Viertelstunde länger, bis die letzten Gäste ihre Plätze eingenommen hatten und im nun so gut wie voll besetzten Haus das Programm starten konnte.

In dem Moment, in dem die Lichter verlöschen setzt ein kurzer Jubelsturm ein, dass man sich eher in einem Fußballstadion als in einem Circus wähnt. Mit einem bunten Charivari startet dieses Circusprogramm, dass im Revue-Stil präsentiert wird. Nun sehen wir erstmals die omnipräsenten Brigitta Boccoli, auf einem Trapez schwingend, und Stefano Orfei, auf einem weißen Hengst, in der Manege. Eine längere, mit viel Playback-Gesang - bis hierher erfolgt die musikalische Begleitung der Show von CD - versehene Szene spinnt den Faden der Programmidee. In Ermanglung italienischer Sprachkenntnisse verstehen wir nur 'Prinz' und 'Prinzessin', dann trennt sich das Paar um erst im Raubtierkäfig wieder vereint zu werden. Im gesamten Verlauf der Vorstellung wechseln sich Orchestermusik und Konserve ab und ergänzen sich sehr gut, sorgen für eine erstklassige Untermalung des Manegengeschehens.
Nun kommt Clown Gyula Saly mit der hinlänglich bekannten Reprise des Licht einfangens. Auf sympathische Weise mit Spielfreude agiert der Clown in allen seinen Auftritten. Gemeinsam mit dem Ballett - im dekorativen Clownskostümen - beenden Brigitta Boccoli und Gyla Saly den Opening-Block.

Für den richtigen Schwung sorgen die obercoolen Blues Brothers, will sagen drei Herren der Truppe Wulber Brothers am Trampolin. Vielfältige Sprünge und Kombinationen werden exakt mit Tempo geboten. Beeindruckend die enorme Höhe mit der die Tricks ausgeführt werden.
Weitere Reprisen gestaltet Gyula Saly im Koch-Outfit mit den entsprechenden Requisiten jonglierend, mit dem reinigen von imaginären Scheiben vor den Logen und Glocken spielend. Die ungeschickte Zuschauerin, die hierbei nichts richtig machen kann, entpuppt sich als seine Partnerin, die abschließend in der Manege auf dem Xylophon brilliert.

Ganz im Gegensatz zu unseren Breiten, wo wir in fast jedem Circus ein Groß-und-Klein bei den Pferdedressuren zu sehen bekommen, ist diese Zusammenstellung in Italien eine absolute Seltenheit, lässt uns Giorgio Vidali im Gespräch wissen. Die Pferdevorführungen obliegen Alexander Jostmann, der eben diese Seltenheit mit einem Apfelschimmel und passenden Pony, beide Pferde sind mit herrlichen roten - mit Strass besetzten - Geschirren aufgezäumt, in die Manege bringt. Die Reaktion des Publikums bestätigt Signore Vidalis Erläuterung. Gleich darauf folgen sechs Ponys mit der üblichen Laufarbeit, die mit einem Steiger abgeschlossen wird. Beide Pferdenummern werden perfekt zu Broadway-Melodien gearbeitet und erstklassig verkauft.
Sehr gut passt in diesen „Broadway-Block“ des Duos Monastyrsky, von seinem Barum-Engagement her in bester Erinnerung, eleganter Quick-Change. Sie verfehlen auch hier ihre Wirkung aufs Publikum nicht. Als sehr eleganter Flieger an den Strapaten erweist sich Aljoscha Tebas. In der weiten hohen Kuppel des großen Chapiteaus kommt seine Kunst hervorragend zur Geltung. Dem Ballett zusammen mit Brigitta Boccoli gehört nun die Bühne unter der Orchesterempore. Mit einem großen Auftritt findet dieser Programmblock einen grandiosen Abschluss.
Wie überhaupt Präsentation und Verkauf der Show beispielhaft ist. Großen Verdienst daran hat Sprecher Giorgio Vidali, der mit seinen 'Bravo, Bravi, Bravissimi' das Publikum entsprechend anheizt. Tolle Kostüme, schwungvolle super abgestimmte musikalische Begleitung und optimale stimmungsvolle Ausleuchtung tragen ein übriges zum gelingen der Show bei.

Mit 'Hello Dolly' auf dem Saxophon eröffnet Kenneth Huesca seine von Charles Knie her bestens bekannte Darbietung. Auch in seinem Heimatland wird der Ventriologe vom Publikum gefeiert. Als abschließender Gag einer Clownreprise erscheint, für uns ein wenig zusammenhanglos und unvermittelt, ein Zwergfusspferd kurz in der Manege. Das Publikum reagiert begeistert und es darf angenommen werden, dass auch in Italien exotische Tiere im Circus erwartet und gern gesehen werden.
Eine Nummer mit vielen Klischnigg- und Handstandtricks, ganz im Stil der Charkov-Brothers haben sich Moira und Walter Orfei erarbeitet. Die nach ihren berühmten Großeltern benannten fünfzehn und elf Jahre alten Kinder von Stefano Orfei, die Mutter lebt inzwischen getrennt, verfügen bereits über eine große Manegenpräsenz. Sie zeigen beachtliche Leistungen, wobei nur Walter hier und da ein noch ein wenig Kraft fehlt die Pose zu halten.
Die beiden Elefanten des Circus, eine indische und eine afrikanische Kuh mit großen Stoßzähnen werden von Stefano Orfei in Zusammenspiel mit dem Ballett in großer Aufmachung präsentiert. Die beiden Tieren tragen prächtige Decken. Gezeigt werden eine ganze Reihe Tricks, die eine gute Elefantendarbietung ausmachen. Spagat auf den Elefantenköpfen, Seil springen der Afrikanerin und überschreiten von vier Mädchen bilden den Abschluss.
Dann kommt die große alte Dame des italienischen Circus zu ihrem großen Moment. In einem VW Käfer Cabrio stehend wird Moira Orfei in die Manege gefahren. Das Auto dreht einige Runden, sie applaudiert den Zuschauern, grüßt diese und die Menge feiert begeistert 'la grande Moira'. Sie richtet ein paar Sätze ans Publikum, fragt, ob es gefällt und mit tosendem Applaus reagiert das vollbesetzte Rund. Dann geht es in die Pause.

Breiten Raum nimmt im zweiten Teil die Vorführung der Tiger ein. Zunächst agiert das Ballett im Netzkäfig. Die acht Mädchen versammeln sich in der Manegenmitte und Brigitta Boccoli lässt einen weißen Tiger auf der Piste paradieren. Dann verlassen die Damen die Manege und an ihre Stelle treten weitere acht Tiger und ihr Vorführer Stefano Orfei. Mit den neun Katzen, darunter vier weiße zeigt er das heute übliche Repertoire. Balkenlauf, Rollover, Hochsitzer am Platz und in der Manegenmitte, Teppich und eine ganze Reihe verschiedener Sprünge werden ruhig und sicher präsentiert. Mit einem normalfarbenen Tier geht der Vorführer auf die Schaukel, die hochgezogen sehr weit ausschwingt. Als dieses vorletzte Tier im Tunnel ist, wird der Käfig weit geöffnet und Brigitta Boccoli fährt auf einem Motorrad mit Beiwagen herein. Stefano Orfei übernimmt den Platz am Lenker, der weiße Tiger steigt selbständig auf den Beiwagen und unter dem Beifall der Zuschauer dreht das nun wieder vereinte Paar seine Runden.
Der Abbau des Käfig wird zur großen Show, wird als eigene Darbietung gestaltet. Mit viel Tanz, (Playback) Gesang, großem Auftritt des Ballett - zeitweilig ergänzt um acht Herren im dunklen Anzug - erleben wir eine Darstellung, wie sie im Circus sonst nicht zu sehen ist. Die eigentliche Demontage der Raubtierrequisiten tritt so vollkommen in den Hintergrund.
Als Finalnummer ist in der aktuellen Produktion das Flugtrapez der Truppe Wulber zu sehen. Eine Fliegerin und drei Flieger werden perfekt präsentiert. Nun erstrahlen erstmals die rund um die Kuppel zwischen den zehn Quaderpools angeordneten Lichterketten, sieht man erstmals, dass das Chapiteau innen nicht einfach dunkelblau sondern mit unzähligen orangenen Sternen dekoriert ist. Die poetisch-romantische Stimmung wird mit der passenden Musik verstärkt, während die Artisten ihre Salti und Pirouetten sicher und fehlerfrei vortragen. Selbstverständlich hat man den 'Dreifachen', er wird perfekt im ersten Versuch ausgeführt, im Repertoire und mit der obligatorischen Passage enden die Evolutionen am Flugtrapez.

Eine grandiose Show, ganz großes Kino, ist das opulente Finale. Das aktuelle Traumpaar des italienischen Circus fährt in beleuchteter Kutsche und Pferd ein. Orchester, Bühne und Artisteneingänge verschwinden hinter einem riesigen roten Vorhang mit üppigen Ornamenten, die allesamt mit blinkenden Lämpchen illuminiert sind und einer beleuchteten Showtreppe in der Mitte. Das Ballett trägt aufwändige Kostüme mit riesigem Kopfputz, wie man sie aus den großen Revuetheatern kennt. Zu schwungvollen Melodien aus My fair Lady füllt sich die Manege mit den Mitwirkenden des begeistert aufgenommenen Programms. Einzelvorstellung, donnernder Applaus, dann leert sich allmählich der rote Ring bis auf Brigitta Boccoli und Stefano Orfei. Ausgiebig lassen sie sich feiern und dann, nach mehr als zweieinhalb Stunden Dauer, ist die grandiose Show vorbei.

Es ist ein Programm, dass aus durchweg starken Nummern zusammengestellt wurde. Sicherlich ist die Anzahl der Darbietungen eher gering, dies wird durch die aufwändig gestaltete Art der Präsentation mehr als ausgeglichen. Dieser besondere Stil, die revueartige Ausgestaltung und unaufdringliche, nicht aufgesetzt wirkende, Art es mit einer Story auszustatten macht das Besondere aus. Dieses klassische Circusprogramm mit allen Großtierarten zeigt eindrucksvoll wie man ein großes Publikum bestens unterhalten und begeistern kann.