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Text und Fotos Friedrich Klawiter
   23. EUROEAN CIRCUS FESTIVAL DE LIÈGE
Lüttich, 14. Dezember 2013

www.europeancircus.com
Zum nunmehr dreiundzwanzigsten Mal veranstaltete Direktor Stefan Agnessen sein großartiges „European Circus Festival“ in Lüttich, der größten Stadt des französischsprachigen Teils Belgiens. Wie stets wurde ein völlig neues, hochklassiges traditionelles Circusprogramm geboten.
Im Herzen der Stadt, im Park d' Avroy direkt an zwei verkehrsreichen Magistralen waren die bekannten gelb-blauen Zeltanlagen aufgebaut. Geschmückte Tannen und viele Lichterketten zieren die Front um den charakteristischen Kassenwagen und sorgen für eine vorweihnachtliche Stimmung. Die zahlreichen Auflieger und Wagen des Circus sind passend zu den Zelten in gelb und blau lackiert. Die Ställe der Elefanten und Pferde sowie die Raubtieranlage von Heiko Olfs Löwen sind großzügig angeordnet. Die Wohnwagen und Unterkünfte von Artisten und Mitarbeitern nehmen den übrigen Raum ein.
Das Innere des Vorzeltes ist in mehreren Rottönen gehalten und bietet eine warme, gemütliche Atmosphäre. Zwei mächtige Tannen strukturieren den Raum. Die beiden großen Verkaufswagen der Circus-Restauration halten ein umfassendes Warenangebot bereit. Eine heimelige Circus-Bar und Garderobe (!) komplettieren die Einrichtung.
Durch einen breiten Tunnel gelangt man ins Chapiteau. Vier Reihen komfortabler gepolsterter Stühle direkt an der Manege und acht Gradinreihen bieten den zahlreichen Zuschauern Platz. Der breite dreiteilige Artisteneingang, dessen Mittelteil von modernen Lichtelementen eingefasst wird, aus rotem Samt wird vom großen Namenszug des Circus gekrönt. Dieser entzieht die sieben Musiker und Orchesterleiter Eduard Tyburski weitesgehend den Blicken des Publikums.

„Monsieur Loyal“ Christophe Ivanes, einer der bekanntesten und profiliertesten Manegensprecher Frankreichs, führt in seiner unvergleichlichen und eleganten Art durch die Show. Zu seinen Markenzeichen gehört der Wechsel von Frack, bzw. Smocking zu jeder Ansage. In diesem Jahr kommt eine komplette Kollektion neuer, höchst aufwändig und edel gefertigter Gewänder zum Einsatz.
Den Großteil des diesjährigen Programms und zugleich die Highlights der Show bilden die leistungsstarken fulminanten Darbietungen der Familie Scholl.
Kalle Scholl präsentiert zunächst temporeich einen Achter-Zug Kleinpferde. Sicher und souverän lässt der erfahrene Dresseur die unterschiedlichen Figuren ablaufen, lässt sich mit einem Augenzwinkern von einem der Pferdchen „austricksen“ und schließt den Auftritt mit einem fulminanten Steiger quer durch die Bahn ab.
Eine interessante und ungewöhnliche Kombination ist der gemeinsame Auftritt zweier indischer Elefanten mit zwei Schulpferden. Kalle Scholl, seine Tochter Kimberly und Schwiegertochter Marylin Zinnecker bestimmen den gelungenen Ablauf dieser erstklassigen, mit hohem Schauwert ausgestatteten Darbietung. Temperamentvoll führen die beiden Dickhäuter zunächst ihre Laufarbeit gemeinsam mit den Pferden aus. Im zweiten Teil der Nummer zeigen die beiden Elefanten akrobatische Tricks, wie Pyramide, Kopfstand und Hochsitzer und die beiden jungen Frauen agieren als Figurantinnen.
Der erst dreizehnjährige Alfred tritt als souveräner Jongleur in Erscheinung. Mit großem Showtalent gesegnet, kommt er beim Publikum bestens an und versteht auch, mit guten Leistungen zu überzeugen. Keulen und Ringe beherrscht der jugendliche Jongleur sicher und in vielerlei Variationen. Eine effektvolle Fackeljonglage beschließt den Auftritt.
Martin Scholl bringt gemeinsam mit seinen beiden Töchtern Cherry und Sally eine erstklassige Hunderevue in den roten Ring. Außergewöhnlichen Drive erhält die Darbietung durch die Einbeziehung von „lebenden Requisiten“. Die beiden Teenager verharren u. a. in Handstand und Spagat und bilden so die Hindernisse, die von den Vierbeinern zu überspringen oder umrunden sind.
Als „Silver Stars sehen wir Cherry und Sally mit einer äußerst rasanten und starken Luftdarbietung im zweiten Teil wieder. Mit eindrucksvollem rockigen Live-Gesang begleitet ihre Mutter Peggy den Auftritt. In hohem Tempo und in großer Höhe werden sämtliche Tricks ohne Longe oder sonstige Sicherheitsvorkehrungen am weit schwingenden Ringtrapez ausgeführt. Der risikoreiche Schlußtrick, zu dem sich eine der Schwestern von der Partnerin nur an den Händen gehalten vom heftig schwingenden Trapez in die Tiefe fallen lässt, sorgt für einen Schreckensmoment im Zuschauerraum.
Senor Martino, alias Martin Scholl, brilliert mit einem hervoragenden und in dieser Perfektion höchst selten zu sehenden Flaschenstuhl. Zur Titelmelodie aus „Das Phantom der Oper“ sorgt er mit seiner in eine kleine Geschichte eingebetteten Arbeit für feuchte Hände und Schweißperlen auf der Stirn vieler Zuschauer. Auf der Lehne eines Stuhles, der auf einem hohen Piedstal auf vier gläsernen „Eiffeltürmen“ steht, wird der erste Handstand ausgeführt. Dann erhöht sich der Turm um die drei bereits in der Manege sichtbaren Stühle. Wer nun glaubt, dass mit einem Handstand auf dieser nun beachtlich hohen Säule die Nummer ihren Abschluss fände, der irrt. Nacheinander werden weitere Stühle in die Manege gebracht und schließlich türmen sich deren neun bis hoch in die Kuppel aufeinander. Auf dieser labilen und extrem hohen Konstruktion führt Martin Scholl ohne jegliche Sicherheitsvorkehrung einen erstklassigen Handstand aus, um hernach wieder sicher in die Manege zurück zu kehren.

Bilowa Clowns – unter diesem Künstlernamen treten Direktor Stefan Agnessen und sein Sohn Andrew als August vor ihr Publikum. „Das Spukschloss“-Entree wird engagiert mit großer Spielfreude gebracht und es ist immer wieder faszinierend, wie lebhaft und begeistert die Kinder in unseren Nachbarländern bei diesem Klassiker der Clownerie mitgehen. Bemerkenswert aufwändig gestaltete Requisiten runden diesen gelungenen Auftritt der Clowns optisch erstklassig ab.
Sebastian Zavatta, Enkel des legendären Achille Zavatta, unterhält das Publikum mit einigen Reprisen. Vor dem eigentlichen Programmbeginn wärmt er die Zuschauer mit dem bestens bekannten Klatschwettbewerb an. Musikalisch wird der Käfigabbau überbrückt und natürlich müssen wieder einmal vier Herren aus dem Publikum auf vier Stühlen Platz nehmen.

Vor der Pause erleben wir Robin Valencia mit ihrem Kanonenschuss. Mit wenig vorangehendem Brimborium wird der Auftritt rasch auf den Punkt gebracht. Christophe Ivanes kündigt die Artistin und die Gefährlichkeit ihres Tuns wortreich an, dann geleitet er sie galant zur Abschußrampe. Die Amerikanerin nimmt rasch ihre Position im Rohr der Kanone ein und wird mit einem lauten Knall ins Landekissen katapultiert.
Heiko Olf lässt seine Löwinnen in einem harmonischen Auftritt ihre Tricks arbeiten. Mit einigem provoziertem fauchen werden Sprünge, Hochsitzer, Pyramide, Bar, Teppich und Balkenlauf geboten.
Zwei Mal sind die kubanischen Artisten der Truppe Havanna mit ihren Darbietungen zu erleben. Zunächst arbeiten vier Herren der Truppe eine Luftdarbietung an Bungeebändern. An einem hoch in der Kuppel hängenden quadratischen Metallrahmen sind die Bungees angebracht und ermöglichen den Artisten weite Flüge in die Tiefe.
Zum Abschluss der Nummernfolge ist die achtköpfige Truppe mit ihrer Arbeit an der Russischen Schaukel zu sehen. Die verschiedensten Kombination von Saltos, Pirouetten und Schrauben werden nach weitem Flug auf einem Kissen sicher gelandet. Ein Sprung führt durch einen Reifen, der von einer Im Drei-Mann-Hoch stehenden Artistin empor gehalten wird. Abschließend führt ein sicher ausgeführter dreifacher Salto zur Landung in einen Sessel.
Diese rasante Darbietung geht nahtlos ins Finale über. Noch einmal versammeln sich alle Mitwirkenden in der Manege. Von Christophe Ivanes werden sie wortgewaltig vorgestellt und nach einer kurzen Choreographie verabschieden Direktor Stefan Agnessen und sein Sohn Andrew das Publikum. Entlang des Gradins verlassen die Artisten begleitet von einem wundervoll gesungenen Weihnachtslied von Peggy Scholl das Chapiteau in Richtung Vorzelt . Dort nehmen sie traditionell Aufstellung und geben so den Besuchern Gelegenheit, sich mit ein paar persönlichen Worten für das Gebotene zu bedanken und zu verabschieden.
Wie in jedem Jahr steht das Programm des European Circus Festival in Lüttich auf einem hohem Niveau und bietet  klassischen Circus par excellence in stilvollem Rahmen. Ein Besuch ist stets lohnend, da hier beste Circusunterhaltung geboten wird.