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Text  und Fotos Friedrich Klawiter
CIRQUE LA PISTE AUX ETOILES
Wattrelos, 01. Oktober 2011

www.lapisteauxetoiles.com
„La Piste aux Etoiles“ ein in unseren Ohren ein etwas sperriger Circusnamen, steht aber in Frankreich für die berühmte gleichnamige Veranstaltungsreihe des französischen Fernsehens RTF bzw. ORTF. Diese Shows des Produzenten Gilles Margaritis wurden meistens im prunkvollen Rahmen des Cirque d' Hiver aufgezeichnet und jeden Mittwoch von Januar 1950 bis Ende 1976 wurde eine Folge ausgestrahlt. Pierre Tchernia und Roger Lanzac waren die Präsentatoren der Shows. So ist es gut zu verstehen, dass Direktor Auguste Falck im Juli 2009 seinen Circus in La Piste aux Etoiles umbenannte, nachdem man lange Jahre unter „Achilles Zavatta Fils“ firmierte. Die dunkelblaue Lackierung der Fahrzeuge mit gelber Schrift wurde aber beibehalten.
Wir besuchten den Circus in Wattrelos, einer französischen Kleinstadt nahe Lille, unmittelbar an der belgischen Grenze gelegen. Auf einem Parkplatz und angrenzendem Brachland, direkt an einer sehr verkehrsreichen Kreuzung, hatte der Circus aufgebaut. Das Gelände reichte nicht aus, den großen Circus mit seinem umfangreichen Material komplett aufzunehmen. Etliche Transporte mußten in den umliegenden Straßen abgestellt werden.

Der Durchgangs-Fassadenwagen mit der integrierten Kasse wurde auf dem direkt an der Kreuzung platziert, einige dekorative Zaunelemente mit Lichtbogen schließen daran an.
Auf ein Vorzelt musste angesichts des knapp bemessenen Platzes verzichtet werden. So stand bei hochsommerlichem Wetter der große Restaurationswagen im Freien vor dem weißen Chapiteau. Dieses misst achtunddreißig mal vierundvierzig Meter und wird in großer Höhe von drei Kuppeln gekrönt. Auffällig und außergewöhnlich ist das blau-roten Zelt-Tatoos.
Wie bei vielen französischen Circussen ist auch hier der direkt neben dem Zelt stehende Generatorwagen mit einer seitlichen Stütze gegen umkippen  gesichert, da mit Hilfe der direkt beim Stromaggregat auf dem Auflieger montierten Winde die Masten hochgezogen werden.
Riesige, luxuriöse Wohnauflieger, mit enormen ausziehbaren Elementen wird die Wohnfläche vergrößert, stehen der Direktionsfamilie zur Verfügung. Diesen Aufliegern sind große Anhänger mit weiterem Wohnraum zugeordnet und im hinteren Teil bieten sie den Luxus-Pkw während des Standortwechsel eine rollende Garage. Direktor Auguste Falck bewohnt einen neuen großen Holzschindelwagen mit einer dekorativen Veranda im Heck. Auch dieser Wagen verfügt über große ausziehbare Erker. Vielerlei andernorts nicht zu sehende Zierelemente machen den Wagen zu einem wahren Prachtstück.
Einmalig in Europa sind die „Roadtrains“, die  am Straßenrand entlang   des Platzes  aufgefahren sind. Bei diesen Zügen handelt es sich um Zugmaschine mit Sattelauflieger, dem ein riesiger zweigliedriger Anhänger - den hinteren Teil bildet wiederum ein Sattelauflieger, der auf einem Drehgestell des Anhängers aufliegt - zugeordnet ist. Die Länge dieser Züge beträgt mehr als fünfunddreißig Meter. Ein imposantes Bild. Sie werden, wie die meisten Transporte dieses Circus, von Volvo-Zugmaschinen fortbewegt. Sechsundzwanzig Zugmaschinen bringen die mehr als sechzig Auflieger und Anhänger des Circus in einer einzigen Fahrt von Stadt zu Stadt.
Mächtige chromblitzende, per Airbrush mit Motiven verzierte, Kenworth Trucks ziehen die beeindruckenden Wohnauflieger der Familie Falck.
Erstaunlich sind auch immer wieder Zustand und Sauberkeit des rollenden Materials der in der Regel schnell reisenden französischen Unternehmen.

Groß und artenreich zeigt sich die Menagerie des Cirque La Piste aux Etoiles. Zwei überlange Sattelauflieger und zwei Anhänger stehen den Raubtieren zur Verfügung.

Die derzeitige Dressurgruppe - ein golden Tabby, zwei weiße und vier normalfarbene Tiger-  ist auf dem einen zuhause. Löwen, darunter zwei weiße und Tiger in mehreren Farben bewohnen den zweiten Auflieger und einen Anhänger, während sechs Affen und zwei Leoparden sich den weiteren Anhänger teilen.
Die drei indischen Elefantenkühe des Circus grasen friedlich in zwei großen Paddocks. Angesichts des heißen hochsommerlichen Wetters war von dem langgestreckten Stallzelt nur das Dach errichtet worden. In den zahlreichen Boxen finden Pferde, Ponys, Esel, Kamele, Dromedare, Lamas und weitere Exoten ihre geräumige Unterkunft.

„Nostalgie“ lautet das aktuelle Programmmotto und im Innern des Chapiteau empfängt den Besucher eine passende Atmosphäre. Einem zwölfreihigen Gradin ohne Rückenlehnen, die Sitzbretter sind mit rotem Textilbelag versehen, sind die dreireihigen Logen vorangestellt Mit rotem Stoff bezogene Klappstühle stehen den Besuchern zur Verfügung. Die Vorderwände der Boxen sind dekorativ in rot und blau gestaltet. Ein großer Artisteneingang aus rotem Samt strukturiert den hinteren Bereich des Chapiteau. Eine Bühne ist mittig in ihn integriert und auf der Empore hat das gute Circusorchester - hier angekündigt als „Nationalorchester Polen“ - seinen Platz. Der Zentralkäfig ist bereits aufgebaut und die schwere schwarze Eisenkonstruktion ist reich mit goldenen Applikationen verziert. Die Postamente der Raubtierdarbietung sind im gleichen Nostalgie-Look wie der Käfig gefertigt.

Monsieur Loyal David Zinnecker heißt das Publikum willkommen und kündigt den in der Werbung groß herausgestellten Star des Unternehmens, den zweiundzwanzigjährigen Roger Falck mit seinen Tigern, an. Die gesamte, intensive Werbung des Circus ist auf diesen jungen Mann ausgerichtet, der 2009 mit einem „Bronzenen Clown“ beim Festival in Monte Carlo und einem Hauptpreis beim Festival von Massy dekoriert worden war. Mit jugendlichem Charme umgarnt er sein Publikum. Aus der Vielzahl der Tricks - u. a. Pyramide, Bar, Teppich, Hochsitzer am Platz sowie in der Pyramide und der Manegenmitte, der einzige "singende Tiger", Rollover - sind besonders die Vorwärtssteiger erwähnenswert. Beim ersten geht der Steiger am Ende in einen Scheinangriff über, der den Dompteur bis an die Gitterstäbe zurückweichen lässt. Abschließend durchqueren zwei Tiger parallel den kompletten Käfig auf den Hinterbeinen laufend.

Später präsentiert Roger Falck zwei Kamele und zwei Dromedare in einer Laufarbeit. Abschließend überquert ein Lama hohe Hürden.
Seine Schwester Cloé Falck zeigt uns die einzige Luftnummer des Abends. Gekonnt und mit Ausstrahlung arbeitet die junge Frau ihre Kür am Ringtrapez, die eine Reihe anspruchsvoller und kräftezehrender Tricks enthält.
Jongleur Cylos versteht es mit seiner tempogeladenen Keulenjonglage das Publikum mitzureißen. Vielfältige Routinen, darunter auch besonders schnelle Passagen mit drei Keulen a la Mario Berousek werden sehr sicher absolviert. Abschließend zeigt der junge Mann sein Können mit Sombreros.

Die Truppe „Sol de Kuba“ vom kubanischen Nationalcircus Circuba präsentiert in wechselnder Besetzung drei attraktive Darbietungen. Zunächst wird mit südamerikanischem Temperament eine mit Hebeakrobatik aufgelockerte kurze Springseilnummer von acht Truppenmitgliedern gearbeitet. Höhepunkt ist das gemeinsame seilspringen einer Pyramide von sechs Artisten.
Nach der Pause eröffnet die Truppe den zweiten Teil mit ihrer Mastenarbeit. In einer ansprechenden Folge werden die gängigen Tricks des Genres zu Gesicht gebracht. Abwechselnd demonstrieren jeweils die drei Damen und vier Herren ihre Kraft und Geschicklichkeit an dem Requisit.
Die dritte Nummer sieht die Truppe an der Russischen Schaukel. In modernen aufwändigen Kostümen im Piratenlook ist diese Darbietung in eine Choreographie eingebettet. Tanzend bietet ein junges Paar einige Partnertricks, dann entern weitere Piraten die Manege. Viele hohe und weite Sprünge werden von der Schaukel auf einem Kissen sicher gelandet. Auch werden Tricks, wie man sie ansonsten am Schleuderbrett sieht, longengesichert vorgetragen. So z. B. ein Sprung in den Handstand zum Drei-Mann-Hoch und ein dreifacher Salto in einen Sessel. Abschließend erfolgt ein Sprung durch einen Feuerreifen, der von einer hoch auf einer Gürtelperche stehenden Artistin gehalten wird.

Einen wahren Höhepunkt im Programm bietet Direktor Auguste Falck mit seiner „Cavalerie Americaine“. Sechs großrahmige Appaloosa- und Pintoschecken folgen ihrem Dresseur in den roten Ring, der lediglich eine Gerte als Hilfsmittel nutzt. Fast ausschließlich mit der Stimme und durch Zeichen mit dem Zeigefinger der linken Hand dirigiert der Chef, ruhig in der Manegenmitte verharrend, die Pferde zu ihren anspruchsvollen Lauffiguren. Ruhig und perfekt führen diese ihre Lektionen aus. Nur per Zuruf dirigierend, lässt er die Pferde einzeln aus der Reihe vortreten, punktgenau anhalten und verharren. Es ist eine erstklassige Demonstration hippologischen Könnens, die mit einem Da Capo-Steiger ihren Abschluss findet. Chapeau.
Das „Trio Emilio“, dahinter verbirgt sich die portugiesische Familie Torralgo, ein Ehepaar und ihr Sohn, bringt klassische Clownerie zu Gesicht. Ihr Entree, eine Mischung aus „Musizieren verboten“ und Instrumente wegnehmen bringt sehr viele eigenständige und originelle Ideen in die Manege und ist von hoher Musikalität geprägt. Die Versuche der Auguste auf Blockflöten zu musizieren, werden vom Weißclown permanent unterbunden. Der Junior lässt, nachdem sein Mund mit einem Streifen Klebeband verschlossen wurde, zwei Flöten durch seine Nase erklingen. Ein ungewöhnliches Duett bieten Mutter, mit erstklassigem Live-Gesang, und Sohn, auf der „Singenden Säge“ mit Frank Sinatras „My Way“. Natürlich mündet das Entree in gemeinsames, ausführliches musizieren des Trios auf Trompete, Posaune und Saxophon.
Mit drei Reprisen - Popcorn, Ballspiel mit den Zuschauern und Applauswettbewerb - überbrückt der Junior Umbauten in der Manege.

Die Finalnummer ist wiederum Roger Falck vorbehalten. In einem abwechslungs- und trickreichen Ablauf präsentiert er zwei der indischen Elefanten des Circus. Laufarbeit wechselt mit akrobatischen Tricks. Ein Kopfstand eines Elefanten mit anschließender Pyramide beendet die Vorführung.
Ein fröhliches, stimmungsvolles Finale mit ausgiebigem gemeinsamen Tanz zu lateinamerikanischen Rhythmen beschließt das kurzweilige und mit guten Leistungen aufwartende Programm des Cirque la Piste aux Etoiles. Daniel Zinnecker bedankt sich beim Publikum für den Besuch und kündet für das nächste Gastspiel im kommenden Jahr ein neues Programm an.
Der Cirque La Piste aux Etoiles der Familie Falck lohnt jederzeit einen Besuch. Dieses interessante Unternehmen überzeugt nicht nur mit einem guten Programm, dass über einige echte Höhepunkte verfügt, sondern bietet auch außerhalb des Chapiteau mit seinen ungewöhnlichen Fahrzeugen und der reichhaltigen Menagerie viel Schauwert.