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Text und Fotos Friedrich Klawiter
Circus Krone
Neuwied, 27. Juni 2008

www.circus-krone.de
Nach fünf Jahren ist “Europas größter Circus“ wieder einmal zu Gast in der Stadt am Rhein und präsentiert erstmals in der Region sein Programm “Jubilee”. Der Neuwieder Circusplatz, die Kirmeswiese, ist groß und geräumig. Alle Circusse, die hier aufbauen finden selbst bei großzügiger Anordnung genügend Platz, manche wirken gar ein wenig verloren auf dem Terrain. Nicht so Krone. Die Straße, die den Platz quert, wurde erstmals gesperrt und der kleinere vorgelagerte Platzteil, bei allen anderen Gelegenheiten Parkplatz, wird ebenfalls von Krone-Fahrzeugen okkupiert.

Heuer braucht es dann noch ein drittes Gelände, auf dem eine Menge Tier- und Materialtransporter abgestellt wurden. Zum ersten Mal in den mehr als vierzig Jahren, in denen wir Circus Krone in Neuwied besuchen, hat die, dieses Mal deutlich erweiterte, Aufbaufläche nicht dazu ausgereicht, dass auch die eindrucksvolle und in der deutschen Circuslandschaft einmalige Fassade errichtet werden konnte. Das neue Circus Café, der Vergleich ‘neu’ bezieht sich in dieser Rezension ausnahmslos auf die Saison 2006, da sich in der vergangenen Sommerspielzeit keine Gelegenheit zum Krone-Besuch ergab. Das neue Circus Café also, größer und wesentlich einladender gestaltet als das vorhergehende, beherrscht das Erscheinungsbild der Front, dicht dabei platziert der Kassenwagen. Dazwischen wurden zweieinhalb Elemente des Frontzaunes in durchaus improvisiert wirkender Weise angebracht. Insgesamt war die Frontgestaltung wenig attraktiv und der Größe des Unternehmens in keiner Weise angemessen. Großzügig der Aufbau der Menagerie. Für alle Tiere, auch für die Pferde, werden Freigehege zur Verfügung gestellt. Diese sind mit geeignetem Beschäftigungsmaterial und das des Flusspferdes auch mit einem Sonnenschutz versehen. Der neue Exotenstall ist ein genaues, verkleinertes Abbild der Elefantenunterkunft.

Die Erwartungen, die wir beim Besuch eines Circus hegen sind unterschiedlich und naturgemäß abhängig von der Art und Größe des Unternehmens.  Das Programm “Jubilee”, in der dritten Spielzeit auf Tour, hat uns bei den Besuchen im vorletzten Jahr sehr angesprochen. Die inzwischen eingetretenen Veränderungen beeinträchtigen diesen Eindruck beträchtlich. Oder anders ausgedrückt, der Hochglanz der ersten Saison hat gelitten und matte Stellen bekommen. Dies liegt nun weniger an einzelnen, größtenteils guten, Nummern, als vielmehr an der Programmzusammenstellung (7 Tiernummern incl. Reiterei, 6 Auftritte der Clowns/Komiker, Kung Fu, 2 Luftnummern und 2 artistisch/akrobatisch) und Art der Präsentation. Die Auftritte des Balletts wurden weniger und wohl auch kürzer. Außer Charivari und Finale gibt es nur noch zwei umfangreiche (Pferdefreiheit, Hohe Schule) sowie drei kurze (Elefanten, Shaolin, Crazy Wilson) Auftritte. Es ist nicht so, dass wir Ballett im Circus - und ganz gewiss nicht im hier gepflegten Stile des Fernsehballetts der sechziger Jahre- attraktiv finden, aber es fällt schon auf, dass  trotz Ballett und Reprisenclowns immer noch längere Umbaupausen ohne Überbrückung den Spielfluss unterbrechen. Auch ist die Ausleuchtung des Programms bei weitem nicht mehr, als Beispiel hierfür mag Arlette Gruss dienen, on topp. Oftmals ist die riesige Zelthalle indifferent hell, der einzelne Akteur vor und während eines Topptricks wird nicht hervorgehoben, es wird keine Spannung aufgebaut und bei vielen Zuschauern geht auf Grund der Größe des Raumes manches einfach unter. Dazu kommt der Verzicht auf Livemusik. So arbeiten die Artisten und ganz besonders die Tiernummern immer “hinter der Melodie her”, arbeiten ihre Tricks einfach nacheinander ab. Es wirkt unakzentuiert, wird nicht richtig verkauft. Es gibt unendlich viele Beispiele, wie mit topp Licht und Musik selbst schwache Nummer als gute präsentiert, und starke Akts hervorragend verkauft werden können. Auch der Verzicht auf viele klassische, vor allem schnelle spannungsgeladene Genres, wie z.B. Jonglage, Rola, Ikarier, macht sich gerade im zweiten Teil, in dem die Spannungskurve und Stimmung nach den Raubtieren deutlich abfällt, sehr negativ bemerkbar.

Traditionell startet eine Krone-Vorstellung mit einem großen Charivari. Gleich anschließend die einzige klassische artistisch-akrobatische Darbietung in der Manege im ersten Programmteil. Die neun Catana bieten einige schöne Sprünge, bis hin zum Fünf-Mann-Hoch mit Doppelsalto, auf dem Schleuderbrett. Die anschließende Hundekomödie von Mr. Dalmatins reitenden Pudeln und Dalmatinern stellt sich als eine der publikumswirksamsten Nummern, neben den Atlantis und Martin Lacey bekommt er den meisten Applaus, heraus. Unnachahmlich, wie Toni Alexis sein ‘Ahoi’ ins Publikum ruft und mit seiner ‘Champion-Pose’ Beifall heischend immer wieder das Publikum animiert. Innerhalb der ‘Toni Alexis Clowns Family’ wurden Rollen getauscht. Mutter Jeanette agiert nun als zweiter August während Sohn Toni jun.,  ganz klassischer Weißclown, ihren Part übernommen hat. Sie zeigen nun nur noch ein Entree, ihr zweiter Auftritt - das Spaghettientree - wurde aus dem Programm genommen. Ebenfalls wurden die Auftritte von Totti mit seinen hervorragenden und aus der Masse abstechenden Reprisen, auf nunmehr zwei begrenzt. Dies ist wohl der Entscheidung geschuldet, die ausgeschiedene Weltklassenummer der Fratelli Errani nicht mit einer adäquaten artistischen Nummer, sondern durch einen zusätzlichen Komiker zu ersetzen. Der Ukrainer Val de Fun war bereits im Februar im festen Haus in München zu sehen. Kam er dort recht gut mit seinen, zumeist viel zu langen Reprisen, an, findet er im Chapiteau weit weniger Publikumsbeachtung. Sein modernes (?), eher abgerissen wirkendes, Outfit - schwarze Schlabberhose, ebensolches blau-weißes Ringelshirt, Schiebermütze und moderne, warum auch immer dazu getragene, Fahrradhandschuhe -  will so gar nicht zu Krone passen. Seine erste Reprise, eine Schleuderbrettparodie, erreicht das Publikum überhaupt nicht. Zur monotonen Begleitung einer slawischen Folkloremelodie agiert er viel zu lange und das Publikum wird deutlich vernehmbar unruhig. Auch die Reaktion am Ende seines dritten und damit letzten Auftritts, Westernparodie mit Zeitung und Peitsche, zeugt  eher von Erleichterung als Begeisterung auf dem Gradin. Sein ‘Wasserentree’ im Zusammenspiel mit einem ‘Krone-Requisiteur’ enthält einige nette Ideen und kommt insgesamt am besten an.

Die vier indischen Elefantendamen zeigen ihr Können unter der Anleitung von James Pudebois in einer sehr ruhig gearbeiteten Trickfolge. Elefantenbulle Colonel Joe trat in Neuwied, wie auch zuvor schon z. B. in Limburg, nicht in der Manege in Erscheinung. Die fernöstliche Kampfkunstdemonstration der ‘Shaolin-Mönche’, die Internetseite nennt ’zwölf’ - was definitiv nicht mehr der Fall ist,  in Verbindung mit den Topp-Tricks der Chy Fu Dey, hier wurde an Stelle von Fredy Chy ein neuer Partner integriert, zeigt gute Leistungen, wirkt auf uns aber auch nach mehrmaligen Besuchen noch immer als Fremdkörper in einem Circusprogramm. Die Attraktion in der Kuppel des Krone Chapiteaus ist zweifelsfrei die Arbeit von Crazy Wilson Dominguez auf dem Todesrad. Er zeigt waghalsige einmalige Tricks mit einigen neuen Variationen.  So gehört der Salto auf der Außenbahn des rotierenden Rades, mit mehrfacher Wiederholung, nun zum festen Repertoire seiner Performance. Leider mangelt es ihm ein wenig an ’Showmanship’, er wirkt sehr introvertiert, sucht und findet kaum Kontakt zum Publikum. Auch die Krone-Regie tut nichts dazu diese leistungsmäßig herausragende Darbietung entsprechend zu verkaufen.
Traditionelle Pausennummer, und damit direkt nach dem Todesrad platziert, ist bei Krone die große Pferdefreiheit und Jana Mandana Sembach-Krone, wie sie neuerdings im Programmheft annonciert wird, hat diese seit einiger Zeit übernommen. Wir hatten überlegt, den freundlichen Mantel gnädigen Schweigens über diesen Auftritt zu decken, doch angesichts der immensen Ressourcen an Pferden und Menschen, über die dieser Circus verfügt, ist diese Freiheitsdressur schlicht und einfach inakzeptabel. Nachdem das Ballett zu Gershwins Rhapsody in Blue ausführlich den Auftritt einleitete, folgen der Vorführerin sieben Friesenhengste in den roten Ring. Nach einigen wenigen gelaufenen Figuren werden sie alsbald allesamt von mehreren Helfern an Longen genommen und mit Abstand zur Piste in Trab gesetzt. Elf Araberschimmel, das Führpferd geht die beiden ersten Runden ebenfalls an einer Longe, sind gegenläufig entlang der Piste eingesetzt. Dieses ’Pferdekarrussell’ stoppt nach einigen Runden abrupt, viele Helfer kommen und führen die meisten Tiere aus der Manege nach draußen, während die verbleibenden Araber noch ein paar weitere Runden laufen bevor auch sie aus der Manege geführt werden. Keinerlei Da Capo, keinerlei Steiger, rein gar Nichts was eine Pferdefreiheit ausmacht wird hier geboten und der total ausbleibende Applaus spiegelt sehr deutlich die Publikumsmeinung wider.

Rasant startet der zweite Teil mit der hinlänglich beschriebenen, hervorragenden Raubtierdressur von Martin Lacey. Die beiden Filmeinspieler per aufwendiger Technik hingegen nutzen nicht die Chance über Raubtiere im Circus zu informieren sondern transportieren Märchen für Erwachsene. Speziell die zweite Sequenz die King Tonga ankündigt, zuckersüß und aufgesetzt, wirkt als äußerst bemühter Versuch die Mensch-(Raub)Tier-heile Schmusewelt-Story von Siegfried und Roy weiter zu schreiben. An Stelle der schwungvollen Fratelli Errani, sehen wir den eher verhalten daherkommenden Equilibristik- und Handvoltigeakt der vier Atlantis. Natürlich findet ihre starke Leistung entsprechenden Anklang. Sehr kurz gerät die Präsentation der vier Zebras, die von Jana Mandana vom Pferd aus dirigiert werden. Nach dem zweiten längeren Ballettauftritt reitet Jana Mandana eine Hohe Schule und die schlichte Präsentation ist nicht dazu angetan irgendwelche Reaktionen des Publikums hervor zu rufen. Die folgende Dschigiten-Reiterei der Truppe Iriston, seit dem Programmwechsel als Beduinenreiter verkauft, wurde gegenüber den Vorjahren ausgedünnt. Weniger Akteure, entgegen der Krone Internetangabe hat sich Anzahl von neun auf etwa die Hälfte reduziert, bedeuten auch weniger Tricks und die Tanzszenen der Reiter fehlen gleich ganz. Seit vielen Jahren sind die Borzovi Krones Finalnummer. Ihre seit drei Jahren ‘neue’, Darbietung wird weiterhin von höchst dramatisch klingender Musik untermalt, erreicht allerdings bei weitem nicht die Trickstärke der ursprünglichen Nummer. Auch hier wurde die Personenzahl auf fünf reduziert und Truppenchef Borzov erklimmt nur zum abschließenden Trick, als sechster, das Gerät um die russische Schaukel in Gang zu setzen. Sie arbeiten nun am Flugtrapez mit zusätzlicher Schaukel. Vom Fängertrapez werden zwei Sprünge im Stil einer russischen Schaukel zu einem zweiten Fänger an einem Fangstuhl über dem Trapez ausgeführt. Je ein Sprung (Schwan und einfacher Salto) der drei Fliegerinnen am Trapez und der abschließende Flug von der russischen Schaukel unter der Trapezbrücke quer durchs Zelt zum Fänger zeigen das komplette Repertoire der Truppe.

Der French Cancan zum Finale ist der Weckruf fürs Publikum, dass nach den Raubtieren  keinen Schwung und keine Höhepunkte mehr sah und das Geschehen an sich vorüberziehen ließ. Christel Sembach-Krone lässt uns ihre Grüße und Wünsche für einen guten Heimweg ausrichten. Ein starker Schlussapplaus, schließlich war man ja im größten Circus Europas, und flugs leert sich das Gradin.