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Text und Fotos Friedrich Klawiter
SCHWEIZER NATIONALCIRCUS GEBR: KNIE
Zürich, 04. Mai 2019

www.knie.ch
100 Jahre Schweizer National Circus Knie – Am 14. Juni 1919  fand auf der Schützenmatte in Bern die Premiere statt, nachdem die Brüder Friedrich, Rudolf, Charles und Eugen ihr erstes Zelt gekauft und die seit Generationen betriebene Arena der Familie in einen Circusbetrieb gewandelt hatten. "Cirque Varieté National Suisse Frères Knie" war über dem Eingang zu lesen - die Knies hatten ihren National-Circus gegründet. Der Erfolg stellte sich sogleich ein und blieb den Knies treu, so dass der Circus zu einem der führenden Unternehmen der europäischen Circusszene heranwuchs.
Dem Schreiber dieser Zeilen war es vergönnt, den Circus Knie in den vergangenen vierzig Jahren alljährlich zu besuchen und circus-online berichtet seit seiner Gründung jährlich vom Schweizer National-Circus.
Viele große Programme durften wir in dieser Manege erleben. So wurde 1984 der zweite Programmteil, eine Sensation zur damaligen Zeit, komplett vom Chinesischen Nationalcircus bestritten und im Folgejahr war erstmals ein Ensemble des Moskauer Circus – das genau wie die Chinesen aus ideologischen Gründen mehrfach während der Saison ausgetauscht wurde - in einem westeuropäischen Circus zu erleben. Ein Ensemble des Cirque de Soleil bestritt 1992 den artistischen Teil des Programms und Regie und Gestaltung der Show wurde ebenfalls von den Kanadiern übernommen.

Großartige Tierdressuren prägten lange Jahre die Programme des Schweizer National-Circus. Außergewöhnliche und hervorragende Tierlehrer waren hier zu erleben. Die vier Knie Junioren – Fredy. Jr, Rolf, Louis und Franco – vereinten 1980 die vier größten Landsäugetiere Afrikas – Elefant, Nashorn, Nilpferd und Giraffe – zugleich in der Manege und Louis Knie präsentierte zwei Tiger und einen Löwen zusammen mit drei asiatischen Elefanten im Netzkäfig. Wenig später war Fredy jr. mit Tiger zu Nashorn zu erleben. Louis Knie präsentierte vielfältige Elefanten-Darbietungen, darunter auch Kombination von vier Zebras und vier Elefanten. Eine große, exzellente Tigergruppe wurde gleichfalls von ihm vorgestellt. Aus der Vielzahl hervorragender Raubtier-Dompteure, die einst bei Knie zu erleben waren und wahre Triumphe feierten, seien hier stellvertretend nur einige Namen genannt: Emile Smith, John F. Campologno, Allan Gold, Larry Allan Dean. In der Saison 2004 war es Daniel Raffo, der mit seinen Tigern als letzter Raubtierlehrer von Knie engagiert wurde. Von den vielen großen, teils außergewöhnlich zusammengestellten Tierdressuren, denen der Circus Knie nicht zuletzt seinen Weltruhm verdankt, sind heutzutage in weitesten Teilen nur noch die Pferdedressuren geblieben.

Zum großen Jubiläum gönnte sich der Schweizer Nationalcircus wieder einmal ein neues Chapiteau. Sind wir hierzulande gewohnt, das Firmen zu Jubiläen besondere Angebote für ihre Kunden bereithalten, läuft es in der Schweiz anders. Die Knie's ließen sich ihr Zelt per Crowdfunding  - in der Regel ein Instrument das Start-Ups Kapital verschafft - finanzieren. Nach dem optisch wenig ansprechenden Test mit einem außenliegenden Mastbogen über dem Zelt im vergangenen Jahr, sind nun die konventionellen Masten völlig den Bögen gewichen. Die neue Plane wurde in Form und Farbgebung nicht verändert, so dass die vier, nun leeren Zeltspitzen seitlich der langen Kuppel emporragen.


Die umfangreiche Vorzeltanlage setzt sich aus vier Festzelt ähnlichen Teilen zusammen und ist speziell für das Gastspiel auf diesem Platz konstruiert.
Der Giebel des Vorzeltes reicht bis unmittelbar an den Bürgersteig und wird zu beiden Seiten vom nostalgischen Zierzaun flankiert.
Der große Kassenwagen hat seinen Platz in einigen Metern Entfernung. Auf dem sehr begrenzten Raum findet nur das notwendigste Material - Kühlwagen der Restauration, Garderoben- und Toilettenwagen, Elektrozentrale sowie die Tierstallungen- Platz. Der große „Rest“ des Circus ist auf einem entfernten Gelände abgestellt und ein betriebsinterner Shuttle-Service eingerichtet.
Die Foyerzelte sind komplett mit Holzboden ausgestattet. Die Gitterträger der Dachkonstruktion und die Seitenwände werden von kunstvoll bemalten Spannbändern, die dem Raum eine individuelle Atmosphäre verleihen, verdeckt. Ein Verkaufscontainer der Circusrestauration steht an zentraler Stelle. Zahlreiche Sitzgelegenheiten gliedern den Raum.
Über vier breite Treppenaufgänge führt der Weg ins Spielzelt, dessen Inneres sich unverändert zeigt. Das neue Gradin ist unverändert komplett mit - nummerierten - Einzelklappsitzen ausgestattet. Die blau-rote Piste mit hinterleuchteten Sternen und der große hohe Artisteneingang mit reichen goldfarbenen Applikationen bieten den gewohnten Anblick. Das Orchester unter der Leitung von Ruslan Fil, es setzt in erster Linie die Akzente bei der weitestgehend im Playback stattfindenden musikalischen Begleitung, hat seinen Platz nach wie vor über der Gardine.
Das Lichtdesign zeigt sich absolut auf Höhe der Zeit und setzt die auftretenden Künstler perfekt in Szene.

In der Manege steht ein Zelt aus weißem Stoff aufgebaut und im Opening werden zahllose Fotos und Plakate aus einhundert Jahren Circus Knie darauf projiziert. Weißclown Yann Rossi spielt auf der Konzertina. Er überreicht der kleinen Marie-Chanel Knie eine blaue Feder, die im weiteren Verlauf der Show immer wieder auftaucht. Das Mädchen tollt mehrfach in Begleitung der Clowns, Davis Vassallo und Francesco Fratellini, durchs weite Rund, lässt sich die Feder von den Clowns stiebitzen und versucht vergeblich sie zurück zu erlangen. Sängerin Nubya und das Circus Theater Bingo, sie ergänzen ihre Choreographie mit einigen Tricks aus verschiedenen artistischen Disziplinen, gestalten das weitere Opening.
Die Stars und Publikumsmagneten des Jubiläums-Programms sind Viktor Giacobbo und Mike Müller, die in den Abendvorstellungen in der Deutschschweiz auftreten. Die Comedians sind seit 2000 komödiantisch miteinander verbunden und waren von 2008 bis 2016 Hosts der satirischen Late Night Show "Giacobbo / Müller" auf SRF 1. In vielfältigen Auftritten bringen sie ihre, dem Schweizer Publikum bestens vertrauten, typischen Figuren in die Manege und lösen bereits beim betreten der Szene Jubelstürme aus. Mit spitzer Zunge und treffenden Pointen reißen sie das Publikum förmlich von den Sitzen.
Ergänzung finden die komödiantischen Szenen in einer musikalisch geprägten Reprise von Weißclown Yann Rossi und einer wunderbar gespielten Jagdszene des Clownstrios. Zudem "jongliert" das Trio mit blauen Lichtpunkten und Davis Vassallo versucht sich als Reinigungskraft an einer imaginären Scheibe.
Ihre vor Jahren mit einem Goldenen Clown in Monte-Carlo ausgezeichnete Ikarier-Nummer präsentieren Guido und Maycol Errani nun noch einmal. Die vielseitigen Saltos und Pirouetten werden wie eh und je in Perfektion ausgeführt.

Ambra und Ives Nicols verzaubern die Besucher mit ihrem Auftritt an den Tuchstrapaten. Im „Goldmenschen“-Look arbeiten sie ihre Trickfolge im Adagio-Stil.
Jongleur Victor Kee bietet einen einzigartig, von Soleil geprägten Act. Tanz und Balljonglage vereinen sich zu einem sinnlichen Ballett. Mit drei, vier und fünf weißen Bällen werden die Routinen zelebriert zu denen die Requisiten passgenau aus der Kuppel in seine Hände fallen und ohne sofort neue Muster bilden.
Der erste Programmteil endet mit dem umfangreichen Block vorzüglicher Pferdedressuren der Familie Knie. Géraldine-Katherina Knie reitet auf einem Schimmelhengst exzellent Hohe Schule. Die Inszenierung mit Sängerin und Lichtspielen verleiht dem Auftritt einen ganz besonderen Charme. Im Anschluss präsentiert ihre Mutter Marie-José in einem kurzen Ablauf eine Einzelfreiheit.
Marie-Chanel dirigiert sechs muntere Shetland-Ponys durch den roten Ring. Die Minipferde sind mit fast lebensgroßen Puppen, die der Vorführerin stark ähnlich sehen, beritten. Völlig selbständig und sehr professionell geht die Achtjährige zu Werke und nur beim abschließenden dreifachen Steiger gibt Opa Fredy jr. Hilfestellung.

Mit je sechs weißen Araber- und Friesenhengsten gestaltet Fredy Knie jr. die ersten Touren einer Freiheitsdressur. Bald darauf ergänzen sechs weitere Araber die Darbietung auf achtzehn Pferde. Schließlich sehen wir ein faszinierendes, perfekt ablaufendes Karussell. Auf drei Zirkeln laufen dreißig Pferde ihre Bahnen und als besonderen Effekt werden die abschließenden Runden nur im Lichtschimmer der zahllosen LEDs an den Pferdegeschirren absolviert. Die finalen Da Capo Steiger sehen Ivan-Frédéric und Fredy Knie jr. gemeinsam in Aktion. Zum Schlusskompliment versammelt sich die Familie vor dem Artisteneingang, wo auf eine große Leinwand ein Portrait von Fredy Knie sen. projiziert wird.
Im zweiten Programmteil reiten Ivan-Frédéric Knie und Wioris Errani eine doppelte Ungarische Post. Auf je zwei Friesenhengsten sind die beiden Stehendreiter unterwegs, während ein weiterer Friese die Gespanne umspielt. Dann werden die Voraus-Pferde, in jeder Runde eines für jeden Reiter hinzugefügt und im vollen Galopp gelingt es hervorragend, die Leinen vom Pferderücken bei der Passage zwischen dem Handpferdepaar aufzunehmen. Chapeau.


Zu Beginn des zweiten Teils der Show sind Franco Knie jr., seine Frau Linna und Sohn Chris-Rui mit einer Papageien-Darbietung zu erleben. Die per LED-Schnüren beleuchtete Silhouette eines asiatischen Elefanten verdeckt - relativ sinnfrei wird immer wieder eine Einbeziehung der freiwillig nicht mehr mitgeführten Elefanten in den Ablauf gesucht - zunächst die Gardine, dann erleben wir eine Zweitausgabe der Papageien-Nummer von Alessio Fochesato, bei der lediglich auf die Teilnahme von Zuschauern verzichtet wird.
Die mitreißende Luftakrobatik von Anastasia Makeeva und die äußerst trickstarke Hand-auf-Hand Darbietung des "Duo Ballance" -
Constantin Ciobotaru und Dan-Florin Tazlauanu - begeistern die Besucher.

Zu guter Letzt erleben wir Truppe Sokolov mit ihrem hervorragenden Schleuderbrett-Act. Neu inszeniert, arbeiten die Artisten nun in zeitgemäßen Kostümen und zu moderner Musik. Die mitunter aufgesetzt daherkommende Mozart-Inszenierung mit den ausufernden  Tanzsequenzen und gekünstelt wirkenden Übergängen wurde zugunsten eines flotten Ablaufs aufgegeben. Der Auftritt wirkt verdichtet und die vielseitigen, teils hervorragenden Leistungen stehen nun deutlich im Fokus der Aufmerksamkeit.
Das Bingo-Ballett und Sängerin Nubya leiten zum Finale über. Die Artisten nehmen ihre Positionen und starker Beifall brandet auf. Die Familie Knie erscheint erstmals seit Jahren vollzählig zum Finale und Fredy Knie jr., hoch zu Ross, verabschiedet sein begeistertes Publikum. In wohl gesetzten Worten gibt der Chef des Hauses zudem seinen Abschied aus der Manege bekannt und gibt die Verantwortung an die nächste Generation weiter. Nicht enden wollende Standing Ovations halten die Mitwirkenden lange am Platz. Als sich die Manege geleert hat, steigt Fredy Knie jr. vom Pferd und hebt Enkelin Marie-Chanel in den Sattel. Der Weißclown bringt die blaue Feder, die sich in einen prächtigen Puschel gewandelt hat und am Halfter des Pferdes angebracht wird. Direktor Fredy Knie nimmt das Ross beim Zügel und verlässt den roten Ring
Mit einer letzten Melodie, die Weißclown Yann Rossi auf der Querflöte von der Orchesterbühne herab erklingen lässt, findet die Vorstellung ihren Abschluss.
Zum stolzen und seltenen Jubiläum bietet der Schweizer National Circus Gebrüder Knie eine große Show, in der in exzellenter Weise hervorragende Darbietungen präsentiert werden. Einzig der - freiwillige - Verzicht auf viele relevante Großtierarten, die oftmals einer Circusvorstellung das besondere Flair verleihen, löst nach vielen großen und tierreichen Knie-Programmen Bedauern aus und trübt die Begeisterung.