Text Friedrich Klawiter
Cirque Joseph Bouglione
Metz, 18. November 2006
 

“C’ est vachement bien!”- einen “wahnsinnig guten” Circus verheißt das aktuelle Motto dieses Unternehmens. Ein wenig verloren wirkt der mittelgroße Circus an einem trüb verregneten Tag auf dem riesigen Platz im Messegelände von Metz. Gut zwei Dutzend roter Sattelzüge und Anhänger, sie tragen den Circusnamen in weiß auf blauem Grund, sind um Chapiteau und den geräumigen Stall gruppiert. Einige Campings vervollständigen die Szenerie. Der Sattelzug mit der Kasse, er begann seine Karriere vor einigen Jahrzehnten offensichtlich als Schießbude, ein weiterer Zug und ein kurzer Zierzaun bilden die Front.

Anfang Mai hatte man ein neues großes Chapiteau von 68 x 44, dessen vier Masten längs in einer Reihe angeordnet sind, eingeweiht Es wurde bereits nach wenigen Tagen von einem Sturm total zerstört. So reist man also wieder mit einem alten runden roten Viermaster von ca. 28 m Durchmesser. Das wieder neu erstandene Chapiteau wird nun erstmals zum Weihnachtsgastspiel in Paris aufgebaut. Der äußere Eindruck und auch die Musikberieselung während des Einlasses, der Hoch- und Deutschmeistermarsch, Gladiatoren- und Circus Renzmarsch und ähnliche bilden das Repertoire, lassen auf einen eher durchschnittlichen Circusgenuss  in einem mittelgroßen Circus schließen - doch sehen wir weiter.

Direktor André-Joseph, er ist 1973 geboren und seine Schwester Sabrina sind Mitglieder der sechsten Generation der traditionsreichen Bouglione Dynastie. Zusammen mit Ehefrau Sandrine, eine Tochter des Dompteurs Daniel Suskov, sind sie laut Pressetext, die jüngste Circusdirektion Europas. Sie legen sehr großen Wert auf die Programmgestaltung. Gelungene Übergänge, stimmige Reprisen und ungewohnte Zusammenstellungen machen aus den einzelnen Nummern eine kurzweilige Komposition einer kompletten durchgängigen Show in der nichts aufgesetzt oder gekünstelt wirkt.

Eine hervorragende Lichtregie, die ohne jede Materialschlacht auskommt, trägt sehr zur gelungenen Umsetzung des Konzeptes bei. Eine ganz besondere Erwähnung, weil ganz besonders, verdient die Musik in diesem Circus. Die absolut circusuntypische Auswahl wird als Konserve von einer sehr guten Anlage eingespielt, trägt sehr zur besonderen Atmosphäre bei. Verheißungsvolle Klänge - so, genau so muss es vor einhundert und mehr Jahren geklungen haben, als die Straßenparade der Komödianten um die Ecke biegt und die Straße heraufzieht um die Bewohner des Ortes zum Besuch der Vorstellung zu animieren. Dieses Bild drängt sich auf durch die Gestaltung des Charivari der Truppe. Es geht nahtlos über in eine abwechslungsreiche Gruppenjonglage. Keulen, Reifen, Feuerkeulen und Meteore wirbeln durch die Luft, während die Lamas dirigiert vom etwa zehnjährigen André-Daniel Bouglione die Szene umrunden.

Ist es ein zufälliges Zusammentreffen, oder ist sich die Direktion des Mozartjahres bewusst? Wie dem auch sei, die meisten Kostüme und Musikstücke in diesem Programm führen auf höchst stimmige Art und Weise zu dieser Assoziation. Eine kurze Voltigereiterei wird vom Clown “gestört” und führt nahtlos weiter zu einigen Großillusionen der Familie Bouglione. Der Chef des Hauses präsentiert ein “Groß und Klein”, dem seine Frau eine Freiheit von je drei Kamelen und Araberhengsten folgen lässt. Sämtliche Dressurnummern werden perfekt präsentiert. Die Tiere beherrschen ihr Repertoire, dass sie willig und harmonisch zeigen. Die Trickfolgen der zahlreichen Dressurgruppen sind vielfältig und unterschiedlich, die einzelnen Nummern perfekt einstudiert, ohne Längen und werden charmant und souverän vorgeführt. Sehr gute Clownerie zeigen Clermont Pithan aus Brasilien und Tony Flores aus Südafrika.

Im Habitus mehr Komiker denn Clown bringen sie zahlreiche bekannte Reprisen, teils gemeinsam, teils alleine. Insgesamt viermal mit Unterstützung eines Zuschauers, der hier als echter Mitspieler eingesetzt wird und nicht als Opfer, auf dessen Kosten die “Späße” gemacht werden. Noch während des Glockenspiels der Clowns kündigen die vier Ochsen, die Sandrine Bouglione vorstellt, mit ihren Kuhglocken den nahenden Auftritt an. Zum Tango bitten Dunja und Sergej Sidorenko-Vartanova zunächst in der Manege und dann auf dem Seil. Der Rhythmus wechselt zu Salsa und mit einem Rückwärtssalto krönt Sergej die Darbietung. Fünf Tiger folgen André Bouglione zu den Klängen eines Flötenkonzerts in die Manege. Die gefällige Folge geläufiger Tricks wird ruhig ohne Effektheischerei gezeigt, die Schönheit der Tiere unterstrichen durch ein Menuett. Feuersprung und Steiger krönen den Auftritt. Die Direktion reitet eine doppelte Hohe Schule. Eine zehnköpfige Gänseschar umrundet lautstark die Manege und überlässt der daran anschließenden Esel- Lamafreiheit des Juniors das Feld. Den Kontrapunkt im Programm, in glitzerndem Outfit zum Sound einer harten E-Gitarre und schneller Beats, setzt Tony Flores. Er entpuppt sich als talentierter Jongleur, der vier große Bälle, Keulen und bis zu neun Ringe schnell und sicher beherrscht. Der anschließende Auftritt der fünf Araber-Schimmel unter Leitung von Sandrine Bouglione ist sehr schön inszeniert und eine perfekt präsentierte Freiheit.

Die Eröffnungsmusik erklingt, die Parade der Komödianten kehrt zurück und eröffnet ein kurzes Finale in dem die Mitwirkenden einzeln vorgestellt werden. Ein liebevoll und ideenreich gestaltetes, gut zweistündiges Programm, dessen zauberhafte Atmosphäre besonders durch Licht und die wirklich herausragende Musikauswahl entscheidend geprägt wird, entlässt die zahlreichen sehr zufriedenen Besucher in die raue Wirklichkeit des heraufziehenden tristen Novemberabends.
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