Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS HERMAN RENZ
Maastricht, 30. März 2013


www.renz.nl
Zu Ostern gastierte der größte Circus der Benelux-Staaten, „Nederlands Nationaal Circus Herman Renz“, in Maastricht auf dem „Geusselt-Veld“. Dieser große Circusplatz, eine Grünfläche in der Nähe des Fußballstadions und an einer Wasserfläche gelegen, ist zur Zeit auf Grund umfangreicher Baumaßnahmen nur bedingt zur Aufnahme eines Großcircus geeignet.
Der lang anhaltende Winter traf auch den Circus Renz in Maastricht. Wenige Stunden vor Ankunft der Transporte fielen circa fünfzehn Zentimeter Neuschnee auf das Terrain und weichten den Untergrund auf. Hinzu kam, dass alle für den Aufbau wichtigen Markierungen unter der weißen Pracht verschwanden. So musste improvisiert werden, Chapiteau und Stall fanden ihren Platz, die Wohnwagen wurden „irgendwie“ abgestellt und die schweren Materialtransporter verblieben auf der Zufahrtstraße um nicht im Matsch zu versinken.
Trotz allem empfängt der Circus die Besucher mit seiner gewohnt attraktiven Front. Der rot-weiße Stakettzaun wird von Lichterbögen und nostalgisch dekorierten Lampen überragt. Der naturfarbener Holzschindelwagen bildet einen weiteren attraktiven Blickfang. Die große Fassade ist seit der vergangenen Saison als roter mit Goldborden verzierter Vorhang gestaltet, beinhaltet die Kassenschalter und wird von der weithin strahlenden großen Leuchtschrift des Namenszuges überragt. Hunderte kleiner Lichter, in die Decke des Durchgangs der Fassade integriert, geleiten den Besucher, einem Sternenhimmel gleich, ins Restaurationszelt. Ab der Straßenkante wurde ein Holzboden verlegt, so dass die Besucher auch bei diesen widrigen Bodenverhältnissen den Circus trockenen Fußes erreichen können. In der großzügigen und bestens sortierten nostalgisch gestalteten Restauration erwartet die kleinen Gäste ein funkelndes Karussell .
Die Gestaltung des Chapiteau-Innern durch ein neunreihiges Schalensitzgradin, schmuckvolle Logenreihen und einen großen Artisteneingang aus roten Stoff mit Glitzersteinchen erweist sich eines Großcircus als würdig. Stets aufs Neue beeindruckt die umfangreiche und aufwändig bestückte Lichtanlage, die in hervorragender Weise eingesetzt wird. Lichtdesigner Charly Weiser ist es auch bei dieser Produktion wieder in idealer Weise gelungen, die Auftretenden optimal in Szene zu setzen.
Die sechs Musiker und Orchesterleiter Robert Rzeznik verstehen es mit sanft verträumten Tönen bis hin zu rockigen Beats einen wunderbaren, die Show tragenden Klangteppich zu schaffen.

Poetisch verträumt beginnt die unter dem Motto „Viva Nino“ stehende Show. Direktor Milko Steijvers, im Portiers-Outfit, kommt in die Manege, in der ein Schminkplatz und ein unter einem großen Tuch verborgenes Etwas stehen. Neugierig sieht er sich um und entdeckt unter dem Tuch eine Drehorgel, die er sogleich zu spielen beginnt. Jan Zeger Plug, im Habitus eines Sprechstallmeisters informiert ihn, dass noch ein Clown gebraucht wird und flugs beginnt die Verwandlung Milkos. Die nacheinander in die Manege kommenden Artisten unterstützen ihn beim schminken, staffieren ihn entsprechend aus und geben kleine Kostproben ihres Könnens. Mit diesem bunten Charivari findet der temperamentvolle Einstieg in die Show in gelungener Weise statt.
Nun bilden die Artisten vor der Gardine ein Spalier, durch das die sechs Freiheitspferde in den roten Ring gelangen. Michel Jarz lässt die dekorativen Hengste, goldfarbenes Fell in Kombination mit dunklen Mähnen, Beinen und Schweif, ihre vielfältigen Lauffiguren ausführen. Volten, Gegenläufe, Pirouetten und verschiedene Steiger schaffen harmonische Bilder und mehrere gekonnte Kapriolen runden die Darbietung furios ab.

Auf einem chromblitzenden schweren Motorrad arbeitet Germaine Delbosq ihre Antipoden-Spiele. Das Ballett umrahmt die Darbietung, in deren Verlauf Walzen, Fußbälle Kubus über die Füße und Hände der Artistin tanzen. Zum Abschluss wird ein großes Feuerkreuz auf den Füssen jongliert.
Francisco hat sich die Akrobatik am chinesischen Mast als Genre gewählt. Geschmeidig und kraftvoll beherrscht der sympathische Künstler sein Metier. Im Zusammenspiel mit seiner Partnerin Zaida präsentiert er seine Tricks, die in eine kleine Geschichte vom werben der Geschlechter umeinander eingebettet ist.

Das Ballett tanzt in Torero-Kostümen, dann treten die beiden Matadore Milko und Frenky ins Licht der Scheinwerfer. Gemeinsam präsentieren sie die Bauernhoftiere des American Circus von Flavio Togni. Kühe, Ziegen, Schweine und Gänse zeigen, nicht nur zum großen Vergnügen der kleinen Zuschauer ihr Können. Natürlich sind die beiden Clowns des Circus Herman Renz auch in diesem Programm wieder mit einer umfassenden Auswahl Szenen aus ihrem reichhaltigen Repertoire vertreten. Frenky kehrt mit seinem Besen einen Lichtstrahl zusammen, ehe er mit eben diesem als Gitarre einen veritablen Hardrocker gibt. Im weiteren Programmverlauf „leiht“ er einem Zuschauerkind seine Arme, so dass dieses, in einem übergroßen Jackett steckend, vermeintlich geschickt mit Tüchern jonglieren kann.
Torero Milko überzeugt mit großer Geste als Gitarrist, jedenfalls solange bis er ein Klebeband entdeckt und damit zu musizieren beginnt. Die Amor-Reprise wird von den beiden Erz-Komödianten mit großer Spielfreude in Perfektion vorgetragen.
Im großen Entree betätigen sich die Auguste als Anstreicher. Von einer „Polizistin“ dazu angehalten eine Graffiti beschmierte Wand zu säubern, ziehen sie alle Register. Am Ende des turbulenten Spiels landet die „Polizistin“ in einer Schubkarre voller Schaum und die beiden Maler haben keinen trockenen Faden mehr am Leib. Angesichts des derzeitigen Wetters ist es eine geradezu heroische Tat zwei Mal am Tag, derart durchnässt durchs Freie zur Garderobe zu eilen.

The Indian Spirit, Germaine Delbosq mit Tochter und Partner, bieten eine temperamentvolle argentinische Folklore. Furios werden die Bola-Kugeln unter rhythmisch mitreißendem trommeln geschwungen. Besonders effektvoll wirken die brennenden Bolaschnüre die abschließend eingesetzt werden.
Die Luftdarbietung des Trio Wozniewski muss derzeit verletzungsbedingt pausieren und  Diabolojongleur Michael Betrian wurde kurzfristig für das Gastspiel in Maastricht  engagiert. Tempogeladen agiert der sympathische junge Mann in der Manege und zaubert mit seinen Requisiten die verschiedensten Figuren. Hoch fliegen die Diabolos in die Kuppel und werden stets souverän wieder gefangen. Auch zwei und drei zur gleichen Zeit jonglierte Diabolos werden mit Leichtigkeit beherrscht.
Elisabeth Axt präsentierte ihre Nummer an den Strapaten-Tüchern. Die romantische Arbeit wird gekonnt vorgetragen und zeigt in Verbindung mit dem exzellenten Licht äußerst harmonische Abläufe.
Großen Schauwert bietet die doppelte Hohe Schule, die von Yasmine Smart und Michel Jarz geritten wird. Das Ballett eröffnet die opulente Bildfolge und ein Tango tanzendes Paar ist während der gesamten Nummer auf einer kleinen Plattform in der Manegenmitte zugegen. Die beiden Reiter bieten eine breite Palette der Abläufe des Genres. Schließlich löst das Tangopaar seine Formation auf und begleitet die Reiter auf ihren Bahnen durch den roten Ring.
Francois Borie brilliert mit einer formidablen Keulenjonglage. Zunächst werden mit drei Keulen viele unterschiedliche Muster dargeboten. Vier und fünf der Requisiten beherrscht der elegant agierende Jongleur genauso sicher und variantenreich. Nochmals steigert er den Schwierigkeitsgrad und präsentiert sein Können mit sieben Keulen. Selbstverständlich darf auch die abschließende Passage mit besonders schnell gedrehten Requisiten nicht fehlen.

Mit dem Engagement des Trio Liazeed ist es dem Circus Herman Renz gelungen, ein besonderes artistisches Highlight im diesjährigen Programm zu bieten. In ganz großer Aufmachung bietet das Trio, dass nur ein seltener Gast in den Circusmanegen ist, hervorragende Tricks. Omar Liazeed, seine Tochter Zaida und ihr Partner Francisco begeistern u. a. mit einarmiger Waage sowie Kopfstand ohne Vorteil im Nacken des im Handstand stehenden Untermannes und Handstand auf den Füssen des frei im Kopfstand stehenden Untermannes. Ein Handstand mit zwei Partnern auf einem rotierenden Gestell beschließt die exquisite Darbietung mit ihren nicht alltäglichen Tricks.
Eine schwungvolle Choreographie und mitreißende Melodien liegen dem großen Finale zu Grunde; fröhlich tanzen Ballett und Artisten in der Manege. Frenky, nun wieder ein versierter Sprechstallmeister – die Ansagen während der Show erfolgten aus dem Off – stellt die Mitwirkenden vor. Es folgen einige Zugaben und allmählich verabschieden sich die Artisten winkend in Richtung Vorhang aus der Manege. Mit großartiger musikalischer und lichttechnischer Verpackung werden die engagierten Artisten in idealer Weise unterstützt und in Szene gesetzt und die Reaktionen des zahlreichen Publikums belegen, dass die Erwartungen erfüllt wurden. Ein Besuch dieses hervorragenden Circus ist wie immer zu empfehlen.
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