optimiert



Text und Fotos Friedrich Klawiter
SCHWEIZER NATIONALCIRCUS
Gebr. KNIE
Luzern 29. Juli 2009

www.knie.ch
Im vergangenen Jahr feierte der Circus Gebr. Knie einen runden Geburtstag, in diesem hatten wir ein kleines Jubiläum – das dreißigste aufeinander folgende Knie-Programm. So wollen wir nicht nur auf die diesjährige Produktion eingehen, sondern auch ein wenig in die Vergangenheit blicken.
In den letzten Jahren hat sich das Erscheinungsbild des Schweizer Nationalcircus wesentlich verändert, hat man in hohem Umfang in neues Material investiert. Begonnen wurde 2005 mit der Neuanschaffung von Tiertransportern für den Straßentransport. Weitere moderne Fahrzeuge folgten, da der gesamte Circus sukzessive auf Straßenbeförderung, auch in der Schweiz wird Bahn fahren für den Circus immer schwieriger, umgestellt wird. Das letztjährig neu angeschaffte Gradin, auf Grund neu in der Schweiz geltender EU-Richtlinien müssen Treppen und Gänge in anderen Dimensionen sein, und die beiden vierundvierzig bzw. sechsundvierzig Meter Durchmesser messenden Chapiteaus waren weitere große Investitionen.

Die größte Veränderung in diesem Jahr fällt sofort ins Auge. Die gewaltige und sehr aufwändige Konstruktion des neuartigen Vorzeltes zieht sich bogenförmig um dass vordere Drittel  des Chapiteaus. Im Gegensatz zu den vorher verwendeten Zelten ist es ringsum geschlossen und bietet allen Besuchern einer Vorstellung Platz und Witterungsschutz. Die Optik unterscheidet sich bei Weitem von allen gewohnten Mustern. Es erscheint als hoher massiver Wall, vom Chapiteau sind nur noch die Mastspitzen zu sehen, einer mittelalterlichen Stadtmauer nicht unähnlich und nimmt dem Circus den typischen Anblick. Der nostalgische Frontzaun verliert sich vor dieser Wand, er harmoniert nicht mehr mit dem neuen Look.

Der Luzerner Circusplatz auf der Allmend liegt im Innenraum der Galopprennbahn. Normalerweise ein großer Wiesenplatz, ist der Raum zur Zeit durch die Verlegung der Zentralbahn-Strecke unter die Allmend stark eingeschränkt. Auf dem angestammten Platz finden nur Zeltanlagen, Ställe, und Verwaltung Platz. Die zahlreichen Wohn- und Materialwagen sind auf weitere drei Plätze verteilt.
Großzügig aufgebaut präsentiert sich die Menagerie. Weitläufige Freigehege stehen den Tieren zur Verfügung und der Pferdestall wurde um Außenboxen ergänzt. Der Tierbestand und die Artenvielfalt wurde allerdings im Laufe der Jahre drastisch reduziert. Gehörten noch vor wenigen Jahren Nashorn, Flusspferd, Giraffe, zahlreiche Raubtiere und Exoten zum vertrauten Bild, sind heute ca. dreißig Pferde, eine kleine Pony- und Lamaherde und vier Kamele zu sehen. Auch die Anzahl der mitreisenden Elefanten – vier Inderinnen sind es zur Zeit – hat weiter abgenommen. Einige Ziegen, Hängebauchschweine, Affen und Papageien komplettieren den Tierbestand.

Das neue Vorzelt wirkt im Innern als riesige Halle. Die enorme Seitenhöhe ist erforderlich, da die Gradinwagen beim Abbau hier hindurch ans Chapiteau gelangen müssen. Sein Holzboden ist komplett mit rotem Teppich ausgelegt. Zahlreiche, mit verschiedenfarbigen Stoffen bespannte Stehtische und einige Sitzgruppen gliedern den Raum. Die großen hohen Gitterbögen der Dachkonstruktion sind mit Spannbändern bestückt, die mit Circusmotiven kunstvoll bemalt wurden. Auf diese Weise wird der enorme Raum gegliedert und bekommt Atmosphäre. Einer der beiden Restaurationscontainer, sein Dekor wirkt nun ein wenig überkommen, wurde mittig in der Anlage platziert, der zweite sowie die Wurstbraterei finden im Freien ihren Platz. Die gesamte, ohne Abseglungen freistehende, Konstruktion wirkt äußerst arbeitsintensiv im Auf-und Abbau. Fast alle Verbindungen des aus immens vielen Teilen bestehenden Aluminium-Gerüstes sind verschraubt.


Das seit dem Vorjahr auf 2084, im größeren Chapiteau durch eine zusätzliche Gradinreihe auf 2280 Plätze, reduzierte Gradin ist komplett mit Einzel-Klappsitzen bestückt und an diesem Abend nur mäßig besetzt. Seit 1992, dem Jahr in dem Knie mit dem Cirque du Soleil kooperierte, wird eine blau-rote Piste mit hinterleuchteten Sternen verwendet. Der klassische Artisteneingang mit dem zehnköpfigen Orchester obenauf wird in dieser Form seit Jahren eingesetzt. Davor fand ein flacher Orchesterwagen mit beidseitigem Artisteneingang Verwendung.
Kam man vor Jahren in den Genuss erstklassiger Live-Musik im Hause Knie, bis 1988 war Reto Parolari als Kapellmeister engagiert, gab es in Folge des „Soleil-Programms“ eine einschneidende Änderung des Sound, weg von der schwungvollen 'Blechbläser' dominierten klassischen Circusmusik – hin zu Streicher und K-Board orientierten Klängen. Auch in den Folgejahren war Germain Bourque der tonangebende Mann und sein Sound prägt bis heute die musikalische Begleitung bei Knie. Ab 1998 stand Tino Aeby auf dem Podium, ihm folgte 2003 Ruslan Fil. Unter seiner Leitung wurde der Sound wieder ein wenig schwungvoller, allerdings wurde inzwischen weitgehend auf Semi-Playback umgestellt.
In der aktuellen Spielzeit ist die Musik durchgängig sehr laut und recht uniform. Nur viermal spielen die zehn Musiker wirklich live, ansonsten dominiert die Konserve. Nur Kapellmeister Fil an den Bongos sowie der Schlagzeuger begleiten den Musik-PC, während die übrigen Herren nur gelegentlich für Akzente sorgen.


Die Knie-Programme, stets geprägt von zahlreichen herausragenden Dressurnummern einschließlich hauseigener Raubtiere, waren stets von sehr hoher Güte und edel präsentiert. Viele aktuelle Preisträger aus Monte Carlo, z. B. Flying Vasquez, Borzovi, Chen Brothers, wurden ganz aktuell im Jahr des Preisgewinnes präsentiert. Gelegentlich gab es von außerhalb der Circuswelt kommende Künstler, so z. B. Emil und Mummenschanz. Einer kleinen Sensation kam das erste Gastspiel eines kompletten Ensembles aus China während einer Reisesaison in einem westlichen Circusbetrieb 1984 gleich. Im Folgejahr dann, noch lange vor Glasnost und Perestroika, gab es Artisten des Staatscircus der UDSSR zu sehen. In beiden Fällen wurden die Truppe im Saisonverlauf gegen gleichwertige ausgetauscht, da die Staatsideologien einen neunmonatigen Aufenthalt im kapitalistischen Westen nicht zuließen.
Seit 1998 sind die Programme in der aktuellen Form strukturiert. Einen breiten Raum nehmen dabei die Darbietungen der Familie ein. Die zweite Programmsäule bilden die alljährlich wechselnden Stars der (Schweizer) Comedy- bzw. Kleinkunstszene, als erste waren das Duo Fischbach, dann folgten u.a. Flügzüg, Gardi Hutter, Ursus & Nadeschkin und Duo Oropax, zu erleben. Des weiteren folgen die – durchweg hochkarätigen – Artisten. Leider wird immer häufiger auf eine Raubtierdressur, zuletzt war Daniel Raffo 2004 mit seinen Tigern zu sehen, verzichtet.

Das aktuelle Programm trägt den Titel „c' est magique“ und, so im Vorwort des Heftes zu lesen, greift man das „zauberhaft“ das viele Besucher beim betreten des Chapiteaus aussprechen auf, will die 'Zauberwelt des Circus' den Besuchern nahe bringen.
Nehmen wir es gleich vorweg – dieses Vorhaben gelingt in diesem Jahr nur partiell. Zum einen sind die verschiedenen Programmelemente sehr unterschiedlich in ihrem Ausdruck angelegt, harmonieren nicht unbedingt miteinander. Es gibt keinen 'roten Faden', keinen Reprisenclown oder Ballett, der die einzelnen Programmteile miteinander verbindet, miteinander in Einklang bringt. Es ist ein Nummernprogramm, dass mit teils abrupten Stilwechseln aufwartet. Zum anderen trägt die Musik, auch bedingt durch gleichmäßige hohe Lautstärke, wenig zur Stimmung bei. Des Weiteren gibt es nur zwei Dressurnummern, in einem Circus, dessen Weltruf nicht zuletzt von der Vielzahl und außergewöhnlichen Qualität seiner Dressurschöpfungen herrührt.

Nach der Ouvertüre des Orchesters sorgt das 'Circus-Theater Bingo' mit seiner in sehr viel modernen Tanz verpackten Akrobatik-Melange - Tricks der Genres Handstand, Jonglage, Hand-auf-Hand, Ring und Strapaten sind vertreten – im Stil eines Charivari dargeboten, für einen schwungvollen Beginn. Dann kommen Maycol und Guido Errani dazu,bringen Auszüge aus ihrer hervorragenden Ikariernummer während die Bingo-Artisten den Rahmen bilden. Einen zweiten, ähnlich gestalteten Auftritt hat Bingo nach der Pause. Ihre moderne Interpretation artistischer Kunst bildet einen Gegenpol zu den anderen, klassisch orientierten Nummern.
Gleich im Anschluss die diesjährigen Comedy-Stars – Starbugs. Die drei jungen Männer bezeichnen ihre Art als 'Rhythmische Sportkomik'. Es handelt sich um eine  Playback-Show, zu der pantomimisch, teils auch mit Breakdance, agiert wird. Die teils aberwitzig aneinandergereihten Musikschnipsel ergeben in Verbindung mit den Aktivitäten des Trios eine gewisse Komik. In der Auswahl ihrer Gags scheinen sie allerdings limitiert, sehr oft spielen angedrohte Erschießung oder gegenseitiges anrotzen eine Rolle. Sechs Auftritte sind denn auch reichlich viel und ein jeder währt recht lange. In ihrer Art sind sie nicht in das 'normale' Circusprogramm integriert. Im Gegenteil, jeder Wechsel  zwischen den beiden Welten führt zu einem deutlichen Bruch im Ablauf und der Stimmung.

Wie stets steuert die Familie, rechnen wir die Erranis in gewisser Weise hinzu, eine Reihe an Auftritten bei. Als erstes sehen wir die Freiheitspferde. Vier Friesen stehen mit ihren Vorderhufen auf kleinen Podesten, während Marie-Jose Knie einen als Pegasus aufgezäumten weißen Hengst im blauen Licht einige Figuren um sie herum durch den Sand traben lässt. Dann wechselt die Szenerie und Geraldine-Katherina Knie präsentiert einen zwölfer-Zug junger weißer Araber. Schöne harmonische Figuren werden flüssig vorgeführt. Die Ausbildung der Pferde erscheint noch nicht ganz abgeschlossen, zeitweilig muss ein Bereiter ein Tier begleiten. Im morgendlichen Training ist zu sehen, dass das steigen noch nicht mangenreif beherrscht wird, die jungen Pferde brauchen noch Hilfestellungen mit Longen. Diesen Teil der Pferdevorführung abschließend, kommen fünf Friesen hinzu und mit den insgesamt siebzehn Pferden zeigt die junge Frau ein einwandfrei laufendes Karussell auf drei Zirkeln. Ein brauner Araber, Palominos, sowie ein Achal-Trakehner werden von Fredy Knie jun. als Da Capo-Pferde hervorragend präsentiert und erweisen sich als versierte und perfekte Steiger.
Die vier Elefanten hören, wie gewohnt auf die Kommandos von Franco Knie sen. und jun. und dessen Frau Linna Knie-Sun. Sie zeigen souverän einen Querschnitt ihres umfangreichen Trickrepertoires. Der kleine Chris Rui blieb an jenem Tag der Manege fern und so nahmen die Dickhäuter ihre Banane aus der Hand seines Großvaters entgegen.
Die Jockey-Reiterei sah nur die Brüder Maycol, Guido und Wioris Errani als Akteure. Rebecca Fratellini und Ivan-Frederic Knie traten an jenem Abend nicht auf. Wenige Tricks wurden geboten. Während Maycol, seine Lebensgefährtin Geraldine-Katherina Knie dirigiert die Pferde, nur auf seinem Kaltblüter sitzend die Manege umrundet, zeigen seine Brüder auf den Pferden hinter ihm Flicflac und Salto. Der Versuch eines Salto von Pferd zu Pferd misslingt zweimal. Abschließend reiten die beiden Brüder zwei Runden stehend auf einem Pferd gemeinsam. Praktisch nahtlos schließt sich das 'lustige Amateurreiten' an. Einige Zuschauer versuchen sich, bevor eine Circusangehörige für den üblichen Abschluss sorgt. Alle Nummern mit Tieren finden in Halbzeit eins statt, da in der Pause ein Holzboden verlegt wird.

Guido und Wioris Errani sind im weiteren Verlauf auf zwei V-förmig gespannten Tanzseilen zu sehen. Eine durchaus ansprechende Arbeit, in der viele Sprünge gezeigt werden, wird flott präsentiert. Lediglich das permanente einfordern von mehr Beifall durch Guido wirkt unpassend. Beide Artisten springen zunächst einen Rückwärtssalto, dem Guido einen vorwärts gesprungenen folgen lässt.

Nach acht Jahren ist Kris Kremo wieder einmal in die Knie-Manege zurück gekehrt. Seine bestens bekannte Darbietung ist faszinierend und präzise vorgetragen wie stets und es ist immer wieder wunderbar zu erleben, wie dieser erstklassige Gentleman-Jongleur sein Publikum mit Können und Charisma fesselt. Warum die artistisch mit Abstand stärkste Nummer des ersten Teils nicht als Pausennummer platziert wurde ist nicht nach zu vollziehen. Natürlich ist auch seine Frau Yelena Larkina mit ihrer orientalisch inspirierten Hula Hoop Darbietung wieder engagiert. Ausdrucksstark lässt sie mit großem Können und hervorragender Körperbeherrschung die Ringe kreisen.
Zurückgekehrt nach einjähriger Absenz sind die Rossyann. Das klassische Clownsduo,Yann und Hector Rossi erhalten einige Mal Verstärkung durch Hectors jugendlichen Sohn Victor, begeistert immer wieder aus Neue mit einer unglaublichen Vielzahl an Reprisen und Anzahl und Art der Musikinstrumente. Clownerie wie die ihre, die stets  musikalisches Können statt billigen Klamauk in den Vordergrund stellt, wird fast nicht mehr praktiziert. Nun erlebten wir sie erstmals auf einem handelsüblichem Blasebalg musizierend.
Die Handvoltigen des Duo Serjo waren im letzten Jahr bei Flicflac zu sehen. Nun zelebriert Sergey Dimitrov mit seinem neuen Partner Yani Stoyanov die perfekt ablaufende, anspruchsvolle Trickfolge. Er ist der einzige Handstandartist, der ein Kunstturn-Element vom Reck, einen Diamidov - einarmiger Aufschwung mit Drehung zum Handstand – zeigt.
Die fünf jungen Frauen der 'Inner Mongolian Unicycle Troup' rissen, gemessen am Applaus, das Publikum am meisten mit. Während der gesamten Dauer ihres Auftritts halten sie auf den etwa zwei Meter hohen Stangenrädern die Balance. In vielfältigen Variationen werden mit dem Fuß kleine Metallschalen emporgeschleudert, die auf den Köpfen gefangen, sich zu kleinen Pagoden stapeln.
Als einzige Akteure unter der hohen Kuppel des Knie-Chapiteaus sind in diesem Jahr die Sorellas aktiv. Sie präsentieren ihre einmalige, herausragende und gefahrvolle, ungesichert vorgetragene, Arbeit am Trapez in gewohnter Perfektion und sind vollkommen zu Recht als Finalnummer platziert. Es mag an der wesentlich größeren Distanz zum Publikum liegen, dass ihr Auftritt hier nicht in gleichem Maß von den Zuschauern gefeiert wird, wie bei Roncalli.

Das 'Circus-Theater Bingo' leitet zum Finale über. Die Akteure marschieren in Formation auf und forcieren gleich zu Beginn 'Standing Ovations', zu denen sich auch ein Teil der Zuschauer erhebt. Allerdings, erstmals im Schweizer Nationalcircus so erlebt,  ein größerer Teil auch um zügig das Chapiteau zu verlassen. Fredy jun. und Franco sen. blieben dem Finale fern, so oblag es Geraldine-Katherina die obligatorische Abschiedsformel vorzutragen. Der bewährte Ablauf des Knie-Finales, allerdings zu neuer - bei weitem nicht mehr so schwungvoller - Musik nimmt mit den Zugaben seinen Verlauf. Zwei – drei Vorhänge, dann spielen die Rossyann eine letzte verträumte Melodie und sehr viel schneller als in den Vorjahren haben sich die Ränge geleert.