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Text  und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS Gebr. KNIE
Luzern, 27. Juli 2011

www.knie.ch
Traditionell ist der Circus „Gebrüder KNIE Schweizer National-Circus AG“ - so die offizielle Firmierung – in der Zeit um den Schweizer Nationalfeiertag am 01. August in Luzern auf der Allmend zu Gast. Hier wird der Circus im Innenraum der Galopprennbahn großzügig aufgebaut.
Da die Großbaustellen auf diesem Gelände und in der unmittelbaren Umgebung  noch immer Bestand haben, muss der Circus wieder auf mehrere Plätze verteilt werden. Beim markanten weiß-roten Chapiteau sind Kasse, drei Bürowagen und die separate Tierschaukasse vor dem nostalgischen Frontzaun aufgestellt. Das Vorzelt ist riesig. Bogenförmig zieht es sich vor dem vorderen Viertel des Chapiteau hin. Dekorativ eingerichtet, bietet es bei schlechtem Wetter Platz genug, alle Besucher einer Vorstellung aufzunehmen. Nur einige Wagen der Restauration, Elektrozentrale, Toiletten und Garderobenwagen sind rings ums Zelt abgestellt. Das Gros des umfangreichen Fuhrparks wurde anderweitig untergebracht.
Großzügig ist der Knie-Zoo eingerichtet. Die drei Elefanten können während der meisten Zeit selbst entscheiden, ob sie im großen Außengehege, mit Badecontainer, oder lieber im vorn geöffneten Zeltstall den Tag verbringen wollen. Im modernen Pferdestall finden die prächtigen Hengste in großzügig bemessenen Boxen, die auch über einen Außenbereich verfügen, ideale Bedingungen vor. Auf der Rennbahn sind große Koppeln abgesteckt und temperamentvoll werden sie genutzt.

Auch den Exoten steht, außer einem hellen Stall ein riesiges Außengehege zur Verfügung. In einigen Käfigwagen, mit Außenbereichen, haben Papageien und Affen ihr Zuhause. 

In diesem Jahr gibt es wieder die bei Knie traditionellen „Elefanten-Aperos“, nachdem man diese Veranstaltung nach „Sabu' s“ Ausbrüchen im letzten Jahr ausgesetzt hatte. Nun fand dieses „Elefantenfrühstück“ nicht mehr in der Luzerner City statt, sondern der Circus lud an einem Dienstag-Vormittag in den Zoo ein. Etliche tausend Menschen, hierzulande unvorstellbar, bevölkerten das Circusgelände. Am Elefantengehege stand permanent eine riesige Schlange Menschen an. Gruppen zu je ca. zwanzig Personen konnten nacheinander nähertreten und aus einem bereitgestellten Wagen durfte jeder einen Apfel, Sellerie oder Möhre nehmen. Diese wurden an einen der entgegen gestreckten Rüssel übergeben und nach ein paar Minuten des näheren Kontaktes mussten die Gruppen den Fütterungsbereich verlassen, auf dass die Nächsten in Kontakt mit den Dickhäutern treten konnten.
Natürlich fand die gesamte Menagerie lebhaftes Interesse bei den Besuchern. Wie an jedem Werktag fand im Chapiteau das ganz normale  Pferdetraining statt. Die Ränge waren währenddessen besser gefüllt, als mancherorts zur Vorstellung.

„Vive le Cirque“ lautet das diesjährige Motto des Circus Gebr. Knie und im ausverkauften Chapiteau erleben wir eine mitreißende Hommage an großen Circus. Die Programmzusammensetzung entspricht auch in diesem Jahr wieder dem seit vielen Jahren bei Knie bewährten Konzept – Schweizer Comedy-Stars, die herausragenden hauseigenen Dressurdarbietungen und erstklassige Artisten aus aller Welt. Diese dritte Programmsäule hat nun – nach Jahren der Stagnation – eine Aufwertung erfahren. Viele für Knie neue und hochwertige Darbietungen wurden engagiert.
Das große Circus Knie Orchester unter der Leitung von Ruslan Fil gibt mit der Ouvertüre das Startsignal zum Beginn der Vorstellung. Dies ist einer der Momente, in denen das hervorragende Orchester nicht durch Playback ersetzt, allenfalls ergänzt wird. Die  Übergänge zwischen Life- und Konserven-Musik sind allerdings sehr gut gelungen, nur die Bewegungslosigkeit einiger Musiker verrät den Konserveneinsatz. Es kommt nicht zu abrupten Brüchen oder Klangwechseln. Insgesamt kommen die Arrangements in diesem Jahr schwung- und druckvoller daher, da der Sound  weniger von Geigen geprägt ist als in der letzten Saison.

Das Circustheater Bingo aus der Ukraine ist auch aktuell wieder für die Eröffnungsbilder der beiden Programmhälften und Umrahmung des Finals zuständig. Die sechs Artisten/Innen erhalten bei der Akrobatik-Melange, die dieses Mal in ersten Linie Handstandartistik bietet, zu Programmbeginn Verstärkung von den Damen des Trio Bellissima. Zum wiederholten Mal sind Maycol und Guido Errani mit Sequenzen ihrer Antipoden-Nummer in dieses bunte rasante Bild eingebunden. Tänzerisch leiten Bingo dann zur nächsten Darbietung über, die sie zu fünft in der Manegenmitte begleiten.
Maryna – von der Truppe Bingo – und Wioris Errani präsentieren ein Pas de Deux auf zwei belgischen Kaltblütern. Anders als allgemein üblich wird hier nicht auf eine romantisch ballettmäßige Attitüde gesetzt, sondern vielmehr eine akrobatische orientierte, eher sportliche Version geboten. Kraftvoll und routiniert werden vielfältige Tricks geboten.


Gleich darauf sind Edelmais - René Rindlisbacher und Sven Furrer - erstmals präsent. In der Schweiz von Bühne und Fernsehen sehr bekannt, werden sie von den Besuchern gleich begeistert aufgenommen. Die beiden Wortartisten sind in verschiedenen Rollen zu sehen und nehmen mit spitzer Zunge ihre Landsleute und deren regionale Eigenheiten aus Korn. Zunächst werden, im Erscheinungsbild der Knie-Requisiteure, mit einem „Geräuschsauger“ Worte und Geräusche gesammelt, um bald darauf als „Hörspiel“ aus einer ganz besonderen Mülltonne wieder abgerufen zu werden. Wenig später versucht Furrer „die Geschichte des Circus Knie“ zu erzählen und Rindlisbacher will simultan in Gebärdensprache übersetzen, er wählt einen sehr speziellen Dialekt und das Chaos ist unausweichlich. In einer weiteren Szene treten sie optisch nicht in Erscheinung. Ein Kamel und ein Esel sind in der Manege und aus dem Off verleihen die beiden den Tieren, die jeweils eine Schweizer Stadt symbolisieren, ihre Stimmen. Auch in ihren bekannten Rollen kommen sie in die Manege.  Rindlisbacher brilliert als Hausmeister „Alfonso“ - „bin ich die Cheffe von de Manege-Crew“. Solo und im Disput mit Sprechstallmeister Enrico Caroli reißt er die Menge mit. In ihrer letzten Szene ist Sven Furrer der Tier-Dokumentarfilmer „Tierlimoser vom Schweizer Fernsehen“, der einen „typischen“ Zürcher (René Rindlisbacher), offenbar gelten diese als die Unterprivilegierten der Schweiz, vorführt. In den Abendvorstellungen mit fast ausschließlich erwachsenem Publikum kommen diese kabarettartigen  Auftritte ausgezeichnet an.
Abweichend von den Vorjahren wird aktuell keine klassische Clownerie im Knie-Programm geboten. Stattdessen hat man den belgischen Komikakrobaten Barto, alias Bart van Dyck, verpflichtet. Mit seinen drei, bei uns u. a. von Flicflac bekannten, skurrilen Auftritten erobert er auch das Schweizer Publikum im Sturm. Sein durchsteigen eines metallenen Kleiderbügels würzt er mit allerlei Verrenkungen und dem beschwerlichen leeren eines Glases Wasser. Ebenfalls im ersten Programmteil bläst er einen über den Kopf gezogenen Gummihandschuh mit seiner Nase zu einem großen Ballon auf. An vorletzter Stelle im Programm platziert, lässt er das Publikum jubeln, wenn er in halsbrecherischer Manier durch eine schmale Röhre rutscht.

Als erste der ausgezeichneten hauseigenen Dressurnummern sehen wir Maycol Errani mit je fünf Guanakos und Lamas. Elegant werden vielfältige Lauffiguren geboten, die durch den geschickt genutzten Farbkontrast von braunen Guanakos und weißen Lamas zusätzliche Effekte hervorzaubern. Mit sechs Lamas werden drei große Hürden gebildet, die die Guanakos spielerisch leicht überspringen.
Als Da Capo sehen wir einen Rückwärtssteiger, mit Longenhilfe, eines Guanako und einen hervorragenden Vorwärtssteiger eines Lamas.
Fredy Knie jun. erweist sich einmal mehr als exzellenter Schulreiter. Auf dem edlen Schimmelhengst „Evento“, einem „Pura Raza Espanol“ demonstriert er großes reiterliches Können. Es ist eine Hohe Schule in Vollendung, die Ross und Reiter voller Harmonie zelebrieren. Sein Enkel Ivan-Frederic trat in der besuchten Vorstellung nicht auf.
Als weitere Nummer mit tierischen Beteiligung sind die Knie-Elefanten im ersten Programmteil vertreten. In diesem Jahr stehen wieder einmal die Tricks der „Arbeitselefanten“ im Mittelpunkt der Vorführung. Linna Knie-Sun, Franco Knie und Franco Knie jun. dirigieren die drei Elefanten, die voluminöse Baumstämme ziehen, im Maul tragen oder mit dem Kopf wegrollen. Aus einer großen Tasche, die ein Elefant in die Manege trägt, entsteigt der fünfjährige Chris-Rui Knie. Mit lauter Kommando-Stimme lässt er sodann den Elefanten sich auf einem Tonneau auf den Hinterbeinen erheben. 

Zwei weitere akrobatische Darbietungen komplettieren den ersten Teil.
Die Brüder Maycol, Wioris und Guido Errani weisen als Parterre-Akrobaten gewisse Parallelen zu den Brüdern Johny, Antonio und Alfons Casselly auf. Ähnlich gut aussehend und offenbar auch Schwarm der anwesenden Damenwelt, bieten die drei Italiener in weiten Zügen eine vergleichbare Trickfolge. Sie ergänzen diese mit einigen Handvoltigen, zu denen Guido seine Salti und Schrauben anstatt auf Maycols Füssen nun auf den Händen seiner Brüder landet.
Seit langem ist es Tradition im Hause Knie eine Artistentruppe aus China im Programm zu präsentieren und in dieser Saison ist es ein besonderes Highlight. Die acht Mitglieder der Zhjiang Acrobatic Troupe faszinieren mit Kopfständen, die allesamt ohne jeden Vorteil ausgeführt werden. Kann man den eingangs gezeigten Stand Kopf-auf-Kopf - natürlich ohne Zwischenring - noch als „normal“ ansehen, steigert sich der Schwierigkeitsgrad bald darauf immens. Das ansonsten sprichwörtliche „über die Köpfe laufen“ wird hier von einem Truppenmitglied wortwörtlich praktiziert. Fünf Artisten bilden, ohne Hilfsmittel, auf dem Rücken am Boden liegend eine Reihe und der sechste Artist springt im Kopfstand von einem zum nächsten Paar Füsse. Flicflac auf den Köpfen von drei Untermännern ausgeführt, ist auch kein alltäglich gezeigter Trick. Abschließend halten zwei Truppenmitglieder eine Art Treppe, die Stufen bestehen aus kleinen ebenen runden Tellern, auf ihren Schultern bzw. dem Kopf und ein weiterer Artist springt, ohne jede Unterstützung oder Vorteil, im Kopfstand von Stufe zu Stufe.

Ein Paar aus der Truppe Bingo eröffnet den zweiten Teil mit einem erotischen Tanz am Trapez. Während sich die beiden anderen Paare der Truppe auf zwei Stühlen neben dem Sicherheitskissen in der Manege räkeln, wird in der Luft ein heißer Flirt mit guten artistischen Leistungen vorgetragen.
Die Damen des Trio Bellissima, bestens bekannt durch ihr einige Jahre währendes Roncalli-Engagement, entfachen mit ihrer hinreißenden Handstand-Equilibristik wahre Beifallsstürme.
Flight of Passion mußten leider pausieren, da sich Dymitri zwei Tage vor unserem Besuch einer Operation unterziehen musste. Ersatzweise arbeitete Olesia  ihre starke Darbietung am Luftring. Riskante Tricks, u. a. Nacken- und Fersenhang werden ohne Sicherung präsentiert. Kraftvoll und elegant erfolgen die raumgreifenden Flüge in der weiten Kuppel des Knie Chapiteau.

Als einzige Dressurdarbietung im zweiten Teil, nehmen die Pferdefreiheiten breiten Raum ein. Zunächst stellt Marie-Jose Knie einen im Scheinwerferlicht goldfarben glänzenden Achal-Trakehner vor. Darauf folgt Maycol Errani mit zehn Friesen. Gekonnt lässt der elegante Vorführer eine erstklassige Freiheit ablaufen.
Fredy Knie jun. stellt ein doppeltes – nennen wir es einmal „Groß-Mittel-Klein“ vor. Zwei verschiedenfarbenen kuhscheckigen Arabern folgen je zwei, farblich perfekt passende Ponys unterschiedlicher Größe. Leicht und spielerisch kommt diese Freiheit daher und zeigt interessante Lauffiguren in Vollendung. Drei weiße Araber werden von Fredy Knie  als Korbpferde vorgestellt. Die hohe Kunst der Freiheitsdressur wird in dieser Sequenz in Perfektion demonstriert, da die Hengste wirklich synchron agieren. Mit einigen exzellenten Da Capo Steigern findet diese umfassende Pferde-Show ihren Abschluss.

Bedingt durch den Ausfall der Luftdarbietung wurde das Programm umgestellt und so ist nun Zhang Fan als Finalnummer zu sehen. Er ist der einzige Artist des diesjährigen Ensembles, der schon einmal  bei Knie zu sehen war. Seine Balancen auf dem Schlappseil faszinieren. Handstand, Einarmer, Kopfstand und Spagat werden auf dem ruhenden und schwingenden Seil in perfekter Ausführung präsentiert. Auf einer kleinen Leiter folgen weitere Handstände. Auf einem Einrad befährt er im Schulterstand, das Rad mit den Händen bewegend, den dünnen Draht.

Das Finale im Circus Gebr. Knie ist stets eine hervorragend inszenierte Show. Die Truppe Bingo, nun in knallrot gekleidet, eröffnet es mit viel Schwung und Lebensfreude. Während des ganzen Finals regnet es weiß-rote Papierstreifchen und nacheinander kommen die Artisten, ihren wohlverdienten Applaus entgegennehmend, in die Manege. Die Mitglieder der Familie Knie - Linna Knie-Sun in Abendrobe, Marie-José Knie und die Herren im eleganten Frack – nehmen die Ovationen entgegen und mit der traditionellen Formel verabschiedet Franco sen. das Publikum bis zum „Wiederluege“ im nächsten Jahr. Natürlich gibt es die verschiedenen Zugaben, wobei nicht nur Artisten einer Nummer miteinander agieren. Einige Male noch öffnet sich der Vorhang – brandet der Beifall erneut auf - dann wird es hell im Zelt und die Show ist vorbei.
Ein rundes, stimmiges Programm bietet der „Gebrüder KNIE Schweizer National-Circus AG“ in dieser Spielzeit - es wäre perfekt, würde es eine Raubtierdarbietung beinhalten. „Vive le Cirque“.