Text und Fotos: Friedrich Klawiter
CIRCUS ON ICE BOUGLIONE
Nanterre, 12. Dezember 2010

www.cirquedhiver.com
Größere Veränderungen gab es in diesem Jahr bei den Circusunternehmen die in der Vorweihnachtszeit in Paris gastieren. So schuf die Familie Bouglione, die sich bisher auf die Wintersaison in ihrem Cirque d' Hiver konzentrierte, zwei weitere große Shows. Im Gegenzug fiel für Pinder  das zweite Standbein 'Cirque Jean Richard' – dessen Programm vom Circus Herman Renz gestellt wurde – weg. In einer Messehalle in Le Bourget veranstaltete Bouglione einen Galacircus mit einem Fassungsvermögen für sechstausend Besucher.

Der zweite neue Bouglione-Circus war im Parc André Malraux – dort wo bisher Jean-Richard stand – in Nanterre zu finden. Das gesamte Material für diesen Circus wurde neu angeschafft. Ein gewaltiges schlicht weißes Viermasten-Pagodenchapiteau beherrscht den Platz. Ein hohes rechteckiges Vorzelt, im Aussehen eines Festzeltes, wurde quer davor platziert. Im hinteren Bereich des Geländes sind ein Zweimaster und Festzelte, in denen die Galagäste ihr Diner einnehmen, zu sehen. Einige Schiebeplanen-Auflieger, mit aufwändig gestalteten dunkelroten Planen, ansonsten grün lackiert, sind zu sehen. Den restlichen Platz nehmen die zahlreichen Artistenfahrzeuge, Büro- Toiletten- und Garderobencontainer ein. Ein schlichter Metall-Bauzaun, mit großen „Bouglione“-Spannbändern daran, schließt den Platz ab. Eine Kasse sucht man vergebens. Die wenigen Karten, nur für drei Vorstellungen gab es Karten außerhalb des Galabetriebs, konnten im Büro erworben werden.
Das Vorzelt zeigt sich im Innern genauso schlicht und schmucklos wie außen. Zwei Verkaufsstände sind die einzige Einrichtung.

Wesentlich eleganter dann das Innere des Chapiteau. An Stelle einer Manege gibt es eine große runde, fast in Höhe der Logenbrüstungen liegende, Eisfläche. Im hinteren Bereich wurde sie bis hinter den Vorhang verlängert. Der Artisteneingang mit der obenauf liegenden Orchesterbühne wurde ähnlich dem des Cirque d' Hiver gestaltet. Drei Reihen edler Posterstühle stehen den Logenbesuchern zur Verfügung, dahinter erhebt sich ein Gradin mit zwölf Reihen Klappstühlen und fünf Bankreihen. Insgesamt finden rund dreitausend Besucher Platz. Große moderne Kristall-Leuchter wirken wie riesige Eiszapfen.
Bemerkenswert, dass man hier für ein noch wenige Wochen andauerndes Gala-Gastspiel ein höchst aufwändig gestaltetes, achtundsechzig Seiten umfassendes, reich bebildertes Hochglanz-Programmheft herausgebracht hat.

Während des Einlasses werden die Zuschauer animiert Leuchtstäbe zu kaufen, da man die Veranstaltung mit einem „Valse lumineuse“ eröffnen werde. Fast bis auf den letzten Platz ist das Chapiteau gefüllt als es soweit ist, das achtköpfige Orchester - mit Violinistin – mächtig loslegt und zur Freude der kleineren Kinder „SpongBob“ eine Runde auf Schlittschuhen dreht.
Das Orchester ist eine Klasse für sich, begleitet die gesamte Show kraftvoll, treibend und absolut stimmig. Zu einigen Passagen des Programms lässt eine Sängerin ihre Stimmer erklingen. Die Gestaltung des Lichts lässt sich mit einem Satz beschreiben – besser kann man es nicht machen.

Es gibt ihn also doch noch – ganz großen Circus. Groß das Zelt, die Zahl der Mitarbeiter,  die technische Ausrüstung, die Anzahl der Zuschauer und ganz groß das Programm.
Monsieur Loyal Patrice Roche, elegant im obligatorischen roten Frack, kurvt auf Schlittschuhen zur Begrüßung herein. Ansonsten bekommt er nur noch zur Pause und im Finale Gelegenheit, seinen Charme spielen zu lassen.
Das Eisballett des Cirque Bouglione, sechs Tänzerinnen und vier Tänzer hat den ersten von zahlreichen Auftritten. Phantasievolle Kostüme, deren Gestaltung zumeist einen thematischen Bezug zur folgenden Nummer hat, die aufwändig gearbeitet sind fallen gleich ins Auge. Hohe eisläuferische Qualitäten und stimmige Choreographien lassen die Ballettszenen zu eigenen Nummern und nicht nur schlichten Pausenüberbrückungen werden. Einige der Eisläufer sehen wir auch solo, bzw. als Paar mit kurzen Auftritten, die sportlicher orientiert Elemente aus dem Eiskunstlauf beinhalten.
Direkt auf dem Eis agieren ausschließlich die Mitglieder des Balletts. Für die Circusartisten wird ein Teppich gelegt und sie haben allesamt „Spikes“ unter den Schuhen, so dass sie sich auf dem Eis normal bewegen können.

An Pat Clarrison und seinen „Hot Dogs“ ist es, mit viel Wirbel gleich die Stimmung anzuheizen und speziell die jungen Zuschauer gehen auch begeistert mit. Die Trickfolge im üblichen Rahmen wird durch die Gestaltung des Requisits und viel Einsatz des Vorführers aufgepeppt.
Nach einer Eisballett-Einlage im Stil einer Streetgang gleitet eine „Riesenschildkröte“  übers Eis. Dompteur Bonbon bändigt die, dank Elektronik interagierende, Echse und nutzt den Metallpanzer mit seinen gestimmten Mulden mit ein wenig Steelband-Musik.

Spitze der Tanz zwischen den Stangen von fünf Bonbons. Diese des öfteren zu sehenden Reprise wird von Bonbon mit der größten Perfektion geboten. Die Ausgestaltung der vier Puppen ist, jede ein Individuum und ein wenig unterschiedlich zur nächsten, ist hervorragend. Auch sie können sich selbständig – ferngesteuert – bewegen. Kopf- und Mundbewegungen passen zur Musik und lassen die Pappkameraden verblüffend echt wirken.
Im zweiten Programmteil brillieren Bonbon und Tina mit ihrem Klassiker – dem Badminton Match. Auch auf diesem schwierigen Geläuf wird Ablauf fehlerfrei absolviert. Ein neuer Gag wurde in die Abfolge eingebaut, aus zwei exakt gerichteten Röhren werden zwei neue Schläger zu den Spielern geschossen.

Paradiesvögel ist die folgende Ballettszene betitelt. In phantastischen Kostümen, die Herren verkörpern Bäume während die Damen mit unglaublichem Kopfputz ausgestattet wahre Paradiesvögel sind, wird die Taubennummer von Andrejs Fjodorovs eingeleitet. Dessen einmalige Darbietung atmet ein ganz besonderes Flair, dass hervorragend in das edle Umfeld dieses Circus passt. Für uns neu, wurde ein weißer Hund und ein kleiner Hahn in den Ablauf integriert.
Ventriloge Serge Massot rockt im Dialog mit Charly das Zelt. Offensichtlich treffen seine Gags und Pointen ins Schwarze. Ohne die Passage mit drei Zuschauern kommt allem Anschein nach kein Bauchredner im Circus mehr aus, wobei Serge Massot mit mehr Technik aufwarten kann.

Das Ballett, begleitet von volltönendem Bigband-Sound begleitet, hat einen seiner ganz großen Auftritte. In der Aufmachung großer Broadway-Revuen zeigen sie ihre Figuren, leiten über zum großen Entree eines der letzten großen Clowns.
Toto Chabri & Cie. spielen mit immer gleicher Leidenschaft und Präzision. Mit abladen – aufladen beginnen sie und erobern die kleinen und großen Besucher in Nu. Es folgen gängige Späße nach dem üblichen Muster der Dreiecksbeziehung zwischen Augusten und Weißclown, hier verkörpert von Madame Chabri im eleganten schwarzen Hosenanzug. Auch musikalisch haben sie einiges zu bieten und wie stets bei einem klassischen Trio, ziehen sie vereint musizierend aus der Manege.

Der zweite Teil beginnt mit Raubtieren. Die beiden Seelöwen von Ingo Stiebner führen ihren Dompteur vor – oder ist es umgekehrt? Es ist eine feine, leistungsstarke Dressur in der die beiden Robben scheinbar vollkommen selbständig, ohne Zeichen des Vorführers ihre Aktionen ausführen. Immer wieder aufs Neue fasziniert der „Rachentrick“, den wir so bei anderen Seelöwennummern noch nicht gesehen haben.
Nach dem Badminton-Match sehen wir das Ballett in spanisch inspirierten Kostümen und so wird die Stimmung bereitet für die Azzario-Sisters. Die beiden jungen Frauen, Töchter von José Mitchell, versetzen mit ihrer Ausstrahlung und ihrem herausragenden Können das Chapiteau in andächtiges Schweigen. Mit ungeheurer Präzision, scheinbarer Leichtigkeit und völliger Sicherheit absolvieren sie ihre Evolutionen. Nach die beiden eine Leiter, die jüngere Schwester im Einarmer auf dem Kopf der anderen, überquert haben,  werden sie frenetisch vom Publikum gefeiert.

Vom Ballett wird in Glitzerkostümen der nächste Act eingeleitet. Langsam rollt, von einem kleinen Traktor gezogen, eine Rakete auf die Eisfläche. Sie wird eingehakt, nach oben gezogen, das Triebwerk zündet und sie beginnt immer schneller zu kreisen. Aus ihrem Innern erscheinen Vicky und Pablo Garcia zu ihrer einmaligen Darbietung am Haltestuhl. Ohne jede Sicherung zeigen die beiden eine Reihe spektakulärer und risikoreicher Tricks. So zum Beispiel den Zehenhang an einem Fuß bei voller Geschwindigkeit an einem kleinen Trapez, das der Partner nur mit den Zähnen hält. Abschließend klinkt sich Pablo Garcia nur an zwei Metallknöpfen unter den Schuhen unter der Rakete ein und dreht seine Frau Vicky an einer Strapate im Nackenwirbel voll aus. Das Zelt rast vor Begeisterung.

Natürlich wird das Finale dieser grandiosen Show, es ist die aufwändigste und beste Veranstaltung der diesjährigen Produktionen der Weihnachtscircusse in Paris umfassend zelebriert. Ballett, Artisten, Monsieur Loyal, Lichtregie – alle geben noch einmal ihr Bestes, kurz es ist ein Fest für die Augen. Natürlich gilt dies auch für die Ohren, stehen die Leistungen des Orchesters und der Sängerin denen der Anderen in nichts nach. Mehrmals müssen die Ballettmitglieder in wunderschönen Schneemann- und Tannenbaumkostümen vor den Vorhang kommen, nachdem die Arena sich geleert hatte. Das Publikum bleibt geschlossen, applaudieren auf seinen Plätzen – will das Ende der Show nicht wahrhaben, will mehr sehen. Eine solche Begeisterung haben wir noch nie auf einer geschlossen verkauften Galaveranstaltung, die für die allermeisten Besucher ein Pflichttermin ist, gesehen. Erst nach mehreren Aufforderungen des Sprechers  akzeptieren das Ende der Show die Massen und beginnen das Chapiteau zu verlassen derweil draußen bereits die nächsten Dreitausend vor dem Einlass warten.
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