Text  und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS BOUGLIONE
La Perle du Bengale
Paris Le Bourget, 10. Dezember 2011

www.cirquedhiver.com
Paris in der Vorweihnachtszeit - ein Schlaraffenland für Circusfans. Schier überwältigend scheint das Angebot an Circus in allen erdenklichen Größenordnungen und Erscheinungsformen. Auf der einen Seite die traditionellen Familiencircusse, die ganzjährig in den Trabantenstädten der Metropole touren, dann die großen namhaften französischen Circusse, die zum Jahresende ihr Gastspiel in der Hauptstadt mit den lukrativen verkauften Firmenveranstaltungen verbinden und andererseits die „Agenturcircusse“ die ausschließlich in der Vorweihnachtszeit die in Frankreich so beliebten "Arbre de Noel" anbieten.

Seit dem letzten Winter entdeckte auch die Familie Bouglione dieses attraktive Geschäft, sodass neben dem traditionsreichen Cirque d' Hiver an zwei weiteren Spielstätten Galacircus im großem Rahmen angeboten wird. So gibt es eine Produktion in einer riesigen Messehalle am Flughafen Le Bourget.
Nicht viel deutet im Außenbereich der Hallen auf ein Circusgastspiel hin. Ein gigantisches Plakat an einem der Gebäude weist den Weg. Nutzer des öffentlichen Nahverkehr werden mit Shuttlebussen von den Bahnstationen hierher gebracht. Auf einer Freifläche etwas abseits sind die Krone-Stallungen, Transport- und Wohnwagen vor der Silhouette von musealen Relikten der Luftfahrtgeschichte aufgestellt.
Nach dem betreten der Halle erkennt der geübte Circusbesucher erst die wahren Dimensionen dieses provisorischen Circusgebäudes. Elftausend Gäste können hier zu jeder Vorstellung Platz nehmen. Drei Stahlrohrtribünen ragen bis unter das Hallendach, sie weisen zweiundvierzig Reihen Schalensitze auf. Rings um die Manege sind zu ebener Erde bis zu siebzehn Reihen Stühle angeordnet.

Hinter der Manege erhebt sich eine große erhöhte Bühne. Auf dieser nehmen die neun Musiker und der Orchesterleiter Platz. Mittig wird die Bühne von einem stilvollen Artisteneingang, ähnlich dem des Cirque d' Hiver, überragt.
Ein schwarzer Vorhang, mit unzähligen leuchtenden Lichtern einem Sternenhimmel ähnelnd, trennt den Bereich des Sattelraumes ab.

Trotz großzügig bemessener Zuwegungen dauert es eine geraume Zeit, alle Zuschauer ihren Platz eingenommen haben.
Die Distanz zum Geschehen in der Manege ist sehr groß. Details und Gesichtzüge der Auftretenden sind ab etwa der zehnten Gradinreihe  nicht mehr zu unterscheiden.
Im Minutentakt fordert eine Stimme aus dem Off zum Kauf von Leuchtstäben auf, damit man am „Valse lumineuse“, mit dem die Veranstaltung startet, teilhaben kann. Das rekommandieren ist offensichtlich von Erfolg gekrönt, als die Musik einsetzt tanzen im abgedunkelten Raum unzählige bunte Lichter im Takt.

Die Lichtanlage ist, wie bei Bouglione nicht anders zu erwarten, üppig bestückt und wird höchst virtuos eingesetzt. Gleiches lässt sich zum schwungvollen, treibenden, volltönenden Sound des ausgezeichneten großen Orchesters sagen, der den weiten Raum füllt und Atmosphäre schafft. Gerade die Krone-Darbietungen erfahren hierdurch eine deutliche Aufwertung.
Zu der typischen, ja beinahe unvermeidbaren Eröffnungsmelodie französischer Circusprogramme - „Vive le Cirque“ - kommt Monsieur Loyal Frederic Colnot, in Begleitung der Rossyann Clowns in die Manege. Die Begrüssung endet traditionell mit einem „Place au Cirque“ und die Show beginnt.
Das große Ballett, neunzehn Tänzerinnen und Tänzer haben in der Manege und auf der Bühne ihren ersten Auftritt. Pferde und Exoten des Circus Krone werden von den Requisiteuren entlang der Piste geführt. Die Manege leert sich und Jana Mandana reitet auf einer der indischen Elefantenkuh ein. James Pudebois lässt sie auf eine Pyramide aus Tonneaus steigen und mit einem Kompliment endet das Eröffnungsbild.
Robert Foxall präsentiert seine elegante Arbeit an den Strapaten. Kraftvoll werden die Tricks ausgeführt und perfekt gestaltet läuft die Darbietung flott ab.
Zwischen den Nummern füllt das große Ballett in immer wieder neuen Kostümen mit seinen attraktiven Choreographien Manege und Bühne. Die Regie versteht es hiermit geschickt, zu kaschieren, dass außer einem Duo nur Einzelartisten in der Manege stehen.
Ingo Stiebner und seine beiden Seelöwen überzeugen auch in diesem Rahmen mit ihrem ausgefeilten Spiel. Die beiden Robben agieren scheinbar selbständig, „überraschen“ ihren Vorführer immer wieder mit ihren Aktionen.

Atypisch für einen französischen Circus wird das große Entree der Clowns bereits als dritte Nummer gebracht. Die Rossyann, Yann und „Hector“ Maurin Rossi spielen virtuos auf dem Xylophon, Trompeten, Posaune und Saxophon. Mit allerlei Gags und Blödeleien garniert, überzeugen sie mit großem musikalischem Können. In hervorragender Kostümierung bieten sie einen überzeugenden Querschnitt aus ihrem großen Repertoire. Mit dem Gefangenenchor aus Nabucco auf Blasebälgen gespielt endet ihr Entree.
Jana Mandana führt in ihrer unnachahmlichen Weise den Zwölfer-Zug Freiheitspferde vor, den der Circus Krone Anfang des Jahres von Flavio Togni übernommen hat.  Im zweiten Teil sehen wir die Vorführerin in einer kurzen Dressurfolge mit drei Kamelen und vier Zebras.
Robin Valencia Die menschliche Kanonenkugel“ wurde als Pausennummer platziert. Mit Ballett und dramatischer Musik steigert man während des aufblasens des Landekissens die Spannung. Dann steigt die Artistin in die Kanone, ein Schuss - ein Knall, schon wird die Artistin durch die Halle geschleudert. Die niedrigere Raumhöhe bedingt, dass die Flugbahn gefährlich dicht unter der Dachkonstruktion entlang läuft.

Die gesamte Vorstellung wird von einem großen Lärmpegel überlagert. Menschen laufen permanent hin und her, man unterhält sich, Kinder spielen und laufen herum. Kurz gesagt, einem Großteil der Anwesenden ist es vollkommen gleich, was in der Manege abläuft. Entsprechend werden die Auftretenden kaum mit Applaus belohnt.

Martin Lacey eröffnet mit seiner Löwendressur den zweiten Programmteil. Dreizehn Löwinnen und Mähnenträger Kasanga nehmen in der Gittermanege ihre Plätze ein. Schwungvoll und dynamisch wie stets präsentiert der Dompteur die Arbeit seiner Tiere. Mit seinem Vorführstil, der nach etlichen Scheinangriffen und wildem Pranken schlagen auch ruhige harmonische Momente zulässt, kommt er in unserem Nachbarland sehr gut an. Bei seinem Auftritt keimt erstmals Aufmerksamkeit und eine gewisse Circusatmosphäre in den Rängen auf. Auf die Vorführung des gestelzten Videos wird verzichtet und in schnellem Wechsel folgen die Tricks aufeinander. Speziell die rasanten Sprünge der Löwinnen bis an den oberen Käfigrand kommen beim Publikum gut an.
Schwer haben es die Rossyann mit ihrer anschließenden Reprise beim Käfigabbau. Für die meisten Zuschauer kaum zu sehen, sie arbeiten  direkt vor der mittleren Tribüne, und der relativ leise Auftritt - Akkordeonspiel - geht im allgemeinen Tumult in der Halle ein wenig unter. Ähnlich ergeht es ihnen auch mit der Fakir-Reprise.
Nach der Raubtierdarbietung machen sich die ersten Besucher auf den Heimweg und bis zum Programmende ist die Halle nur noch zu etwa zwei Dritteln besetzt.
Gen Nicolodi brilliert mit seiner temperamentvollen Handstandequilibristik. Das gekonnte Zusammenspiel mit seinem quirligen Terrier lockert die Darbietung auf, verleiht ihr eine heitere verspielte Note.

La Perle du Bengale“ ist das Motto dieser Veranstaltung in Erinnerung an ein grandioses Manegenschauspiel der Bougliones Mitte der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts und darauf war die gesamte Werbung aufgebaut. Nun, Mitte der zweiten Halbzeit findet dieses Motto erstmals Erwähnung in der Vorstellung. Frederic Colnot erklärt kurz die Zusammenhänge und mit einem „Fest am Hofe des Maharadscha“ wird das Thema - nach der Exotendressur - aufgegriffen. Mit einer Produktionsnummer des Hauses Bouglione, ein sechsköpfiges Luftballett an Strapatentüchern und den neunzehn Tänzer/Innen in der Manege wird das raumfüllende Bild gestaltet.
Karah Khavak jun. folgt mit seiner Reptilienshow. Diese, von Herman Renz und vom Heilbronner Weihnachtscircus bekannte Darbietung punktet mit der üppigen Dekoration. Die Aktionen mit Skorpionen, Ratten und Vogelspinne werden weggelassen, wären bei dem riesigen Abstand der Zuschauer für die allermeisten auch absolut nicht wahrnehmbar.
Drei indische Elefanten mit Figurantinnen folgen James Putebois in die Manege. Routiniert, in gemächlichem Tempo werden die recht statischen Tricks auf den Tonneaus absolviert. Colonel Joe war in der besuchten Vorstellung nicht in der Manege präsent.

Finaldarbietung ist die einzigartige Raketensensation des Duo Garcia. Mit gewohnter Perfektion werden die riskanten und spektakulären Tricks gearbeitet. So zum Beispiel der Zehenhang an einem Fuß bei hoher Geschwindigkeit an einem kleinen Trapez, das der Partner nur mit den Zähnen hält. Anschließend klinkt sich Pablo Garcia nur mit zwei Metallknöpfen, die aus seinen Schuhsohlen kragen, in der Außenhaut der Rakete ein. Mit kräftigem Armschwung dreht er seine Frau Vicky an einer Strapate im Nackenwirbel voll aus.
Das Finale wird bei Bouglione stets stimmungsvoll gestaltet. Nachdem das Ballett und die überraschend kleine Artistenschar, zusammen mit Frederic Colnot sind es nur vierzehn Personen, ihre Positionen eingenommen haben, kommt „Papa Noel“ in einer Kutsche - die einem amerikanischen Bandwaggon nachgebildet wurde - herein gefahren. Eine in der Kutsche sitzende Sängerin stimmt mit „Petit Papa Noel“ weihnachtliche Klänge an. So endet diese Show im überdimensionalen Rahmen recht romantisch.
Das großartig herausgestellte Motto der Show wurde leider nur unscheinbar in einem Nebensatz abgehandelt. Den Besuchern war dies einerlei, wie offensichtlich den meisten das gesamte Gebotene vollkommen egal war. Kurz gesagt - Perlen vor die Säue.
optimiert