Text und Fotos Friedrich Klawiter                                                 
CIRCUS FESTIVAL AACHEN
Aachen, 26. Dezember 2012

www.festivalcircus.de
Zum zweiten Mal fand das Circus Festival Aachen über den Jahreswechsel statt. Auf dem Bendplatz, dem zentralen Festplatz der Karlstadt wurden die Zeltanlagen aufgebaut.
Die Infrastruktur dieses Weihnachtscircus wurde vom Circus Sarrasani von André Mey angemietet. Eine große Fassade aus Spannbändern, die mit winterlichen Motiven bedruckt sind, strahlt im Scheinwerferlicht des verregneten Weihnachtsabends. Daneben steht der mit Lichterketten geschmückte Oberlichtschindel-Kassenwagen des Circus Sarrasani. Durch verglaste Türen gelangen die Besucher in das festlich dekorierte Vorzelt. Seiten und Decke sind komplett mit weißen Stoffbahnen bespannt. Der rote Bodenbelag sorgt im Zusammenspiel mit der modernen Weihnachtsdekoration für Atmosphäre.
Spielzelt ist das bekannte rot-gelbe Chapiteau mit den außenliegenden, pyramidenförmig angeordneten Masten. Ein rotes Schalensitzgradin nimmt im Innern den größten Teil des Raumes ein. Die Manege ist mit einem Holzboden und grauem textilem Belag versehen. Der hohe und relativ schmale Artisteneingang trägt ein nostalgisches Dekor.
Gleich daneben hat ein stilisierter Pferdeschlitten seinen Platz. Darin ist das „Circusorchester“ untergebracht. Neben den CD-Laufwerken sind elektronische Schlagzeuge und Instrumente darin untergebracht und „Discjockey“ Zlatko Jimmy Kresic steuert von hier aus die musikalische Begleitung der Show.

Die Show wird geprägt vom omnipräsenten Clown „Grandma“ und erstklassigen artistischen Acts. Barry Lubin alias Clown Grandma war in seinem charakteristischen Habitus über fünfundzwanzig Jahre das Gesicht des New Yorker Big Apple Circus und ist auch hier in Aachen die beherrschende Figur. Er gestaltet das Opening und ist praktisch nach jeder Nummer präsent. Zu Beginn erscheint Grandma „Unforgetable“ „singend“ in der Manege. Einem großen kräftigen Logenbesucher hält er das Mikro hin, so dass dieser beim Playback mitspielt. Alsbald findet sich der Zuschauer in der Manege wieder und eng umschlungen tanzend wird der Auftritt beendet. Grandma lässt aber auch Allerwelts-Reprisen wie z. B. „Popcorn“ nicht aus. Auf zwei großen Hupen und einem Furzkissen musiziert er zunächst allein, dann mit einem Jugendlichen aus dem Publikum – jedenfalls solange, bis der Junge das Kissen durch einen Sprung, mit den Füssen voran, darauf zerstört. Ein weiterer Logenbesucher wird in die Manege genötigt und muss sich mit dem Clown ein Duell im gegenseitigen anspucken mit Wasser liefern.

Leonid Beljakov eröffnet mit seiner lebhaften Hundemeute die Nummernfolge. Es sind dies die einzigen Tiere, die in diesem Programm zu sehen sind. Präzise führen die verschiedenen Hunde ihre Tricks aus und folgen rasant den Anweisungen ihres Vorführers.
Papierreißer Mr. Lo, alias Lorenzo Torres ruft mit seiner heute nur noch selten zu sehenden Fingerfertigkeit Erstaunen hervor. Flink lässt er in der fröhlich gestalteten Darbietung seine kleinen Kunstwerke entstehen. Von kleinen Blumen über hohe Palmen bis hin zu großen filigranen Tischdecken reichen die Objekte und selbstverständlich gehören auch die „Pappkameraden“ in den Vereinsfarben  Traditions-Fußballclub "Alemania Aachen" dazu
Diana Puhova konnte man mit ihrer risikoreichen Arbeit an Strapatennetzen im Saisonprogramm bei FlicFlac erleben. Nun demonstriert sie ihre Kraft bei den Halteposen und Geschicklichkeit in den Abfallern in der Kuppel des Aachen Circus Festival.
Die Sanddorn-Balance, inzwischen aus einigen Produktionen bekannt, wird nun von einer weiteren Artistin gezeigt. Naima Rhyn Rigolo nennt sich Künstlerin, die es ihrem Vorbild gleichtut und im abgedunkelten Zelt zu mysthischen Klängen dreizehn Palmäste zu einem labilen Mobile fügt, ohne allerdings die charismatische Ausstrahlung des Originals zu erreichen.

Die Messoudi Brothers sind mit zwei recht unterschiedlichen Darbietungen vertreten. Zunächst überzeugen sie zu dritt mit einer rasanten Gruppenjonglage. Bälle und Keulen wechseln in variantenreichen Mustern von einer zur anderen Hand und immer ändern die Jongleure ihre Positionen zueinander.
Im zweiten Teil erleben wir ihre Hand-auf-Hand Darbietung mit vier Personen. Geschmeidig werden die Handstände ausgeführt und teils in kraftraubendem Adagio-Tempo die Posen erreicht.
Acrobatic Catwall sind zwei Herren und eine Dame, die die Zuschauer mit rasanter Trampolinartistik mitreißen. Auch sie haben an der Hinterseite ihres Trampolins eine „Wand“ mit drei Nischen darin angebracht. In hohem Tempo „laufen“ sie die Wand hoch. Viele Salti und Pirouetten führen in der Höhe weit über die Plattform auf der Wand hinaus. Die Trickfolge des Trios ist umfangreich und attraktiv, steigert sich stetig, da die beiden Männer die junge Frau umwerben.

Les Frère Taquin sind mit ihrem „Automatenmenschen“ einer der Höhepunkte im Programm. Einerlei, wie oft man diesen Act auch sah, es ist immer wieder ein Erlebnis der Perfektion dieser Darbietung beiwohnen zu können. Absolut überzeugend ist die Attitüde der Akteure, die ihre Rollen gekonnt ausleben.
In diesem Rahmen sehen wir die beiden Komödianten erstmals mit einer weiteren Szene. Sie stellen zwei recht unterschiedliche Herren, die rein zufällig im Kino nebeneinander zu sitzen kommen in herrlicher Weise dar. Zwei Kinosessel stehen inmitten der Manege und Oliver Taquin, er gibt die Automatenpuppe, kommt als distinguierter Herr mit Fliege herein und stolpert über die Beine seines prollig im Sessel herumlümmelnden Partners. Wir hören die unterschiedlichsten Melodien, zunächst eine Pavarotti-Arie, dann bekannte Filmmusiken, wie z. B. „Spiel mir das Lied vom Tod“, „Der weiße Hai“ und Melodien aus Chaplin Filmen. Dazu lassen uns die beiden Komiker, ohne ein gesprochenes Wort, Schließlich kommt es bei „Titanic“ zu den ganz großen Gefühlen und gegenseitigem umarmen.

Den Höhepunkt beider Programmteile bietet Freddy Nock mit seiner Truppe. In hohem Tempo jagen sie durch den Globe of Speed. In verwegener Fahrt ziehen die Fahrer ihre Bahn, fahren parallel, reichen sich die Hand und sind auf kreuzenden Bahnen unterwegs. So manch ein Zuschauer hat angesichts der haarsträubenden Stunts schweißnasse Hände.
Auch auf dem Todesrad versteht es Freddy Nock erstklassig den Adrenalinspiegel seines Publikums in die Höhe zu treiben. Nach den Sprüngen im Kessel des Rades, zeigt er sein Können und seinen Mut zum Risiko auch auf der Außenseite des Requisits.
Mit einem farbenfrohen und schwungvollen Finale klingt diese Artisten-Show aus. Zahlreiche Zugaben unter dem rieselnden Kunstschnee bringen die Artisten noch einmal den Zuschauern näher. Da in dieser Produktion auf einen Sprecher verzichtet wird, bleiben die Mitwirkenden für das Publikum anonym, was der Begeisterung des Auditoriums allerdings keinen Abbruch tut. Ein überwiegend hochklassiges Programm sehr guter Artisten stellt einen Jeder zufrieden, nur – ein wenig mehr „Circus“ hätte es schon sein dürfen bei einer Veranstaltung, die den Begriff „Circus Festival“ im Namen führt.

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